Hinter verschlossenen Türen – PDF
—
7. Kapitel
»Bist du wütend auf mich?«
Es waren die ersten Worte, die Lisa-Marie sprach, seit sie allein waren. Peter ließ sie einen Augenblick auf sich wirken.
»Nein, ich glaube nicht.«
Peter trug jetzt eine schwarze Jogginghose und einen weinroten Pulli, die ihm der Doc gegeben hatte. Ihm war alles recht, solange es nicht mit Skinnys Blut befleckt war.
»Es tut mir so leid, was passiert ist. Das mit deinem Bruder auch.«
»Das war nicht deine Schuld.«
Er versuchte sie anzulächeln, doch die Muskeln seines Gesichts gehorchten ihm nicht. Heraus kam nur eine seltsame Grimasse. Natürlich war es ihre Schuld gewesen. Tausend Mal hatte er sich dieses Gespräch vorgestellt, sich gefragt, ob er diese Worte je von ihr hören würde. Sich unzählige kluge Sätze zurechtgelegt, mit denen er hätte antworten können. Aber jetzt, wo sie so verletzlich wirkte, wollte er sie plötzlich nicht mehr angreifen.
»Natürlich war es das, ich war…«, doch Peter erfuhr nicht mehr, was sie gewesen oder nicht gewesen war, denn in diesem Moment trat der Doc vor die Tür und sie verstummte augenblicklich. Sein Blick war schwer einzuschätzen. Ein intensiver Geruch nach Desinfektionsmittel ging von ihm aus.
»Ich denke, er ist erstmal über den Berg«, sagte der Doc dann mit einem Blick, der Peter verunsicherte. »Er hat viel Blut verloren und die Narbe dürfte nicht allzu hübsch aussehen, aber wenn es so gut weiterläuft, sollte er sich zeitnah erholen.«
»Vielleicht kann er die Narbe kosmetisch überarbeiten lassen, wenn er wieder fit ist«. sagte Lisa-Marie. Ihr schien nichts am Doc aufgefallen zu sein, vielleicht hatte Peter sich auch getäuscht.
Der Doc sah sie zweifelnd an. »Glaubst du nicht, dass das automatisch kontrolliert wird, wenn Leute mit so außergewöhnlichen Narben im Krankenhaus erscheinen? Ich kann das nämlich nicht machen und bei den Androiden wäre ich mit solchen Sachen vorsichtig. Ich denke, er wird in Zukunft eine gewisse Zuneigung für Rollkragenpullis entwickeln müssen.«
»Denkst du, er wird bis zum 03.Oktober wieder einsatzfähig sein?«, fragte Peter, der im Augenblick keinen Nerv hatte, sich Gedanken über die Ästhetik von Skinnys Hals zu machen.
Die grauen Augenbrauen des Docs hoben sich ein winziges Stück.
»3.Oktober also? Ich wusste doch, dass sie dich nicht aus purer Liebe wieder rausgeholt haben. Das sollte zu schaffen sein.«
Am nächsten Tag saß Peter wieder schick, aber unauffällig gekleidet auf einem Stuhl in einem kargen Konferenzraum eines Hotels in der Innenstadt. Peter hatte sich für eine kleine Crew entschieden. Im Raum waren nur er, Lisa-Marie, Lewandowski und ein schlaksiger, nervöser Typ namens Justus. Im Hintergrund saßen Alessio und Adamo und blickten ernst drein. Ihre Wiedersehensfreude gegenüber Lisa-Marie hatte sich wie bei Peter in Grenzen gehalten. Sie waren alles andere als zufrieden mit dem Risiko, das Peter für ihre Befreiung eingegangen war, aber das scherte ihn nicht. Viel mehr störte ihn, dass sie es sich nicht hatten nehmen lassen, bei dieser Besprechung dabei zu sein und darauf bestanden, den Ort für das Treffen zu wählen.
»Jeder von euch weiß ein bisschen was. Ich will heute dafür sorgen, dass ihr alle auf den neuesten Stand gebracht werdet. Wir haben eine Menge vor«, sagte Peter.
Augenblicklich richtete sich alle Aufmerksamkeit auf ihn. Er spürte ihre Anspannung. Nur Lewandowski kannte bisher den ganzen Plan. Als Auftraggeber hatten Alessio und Adamo zumindest eine grobe Vorstellung von dem, was kommen würde. Trotzdem konnten selbst sie nicht vollkommen ihre zur Schau gestellte Gleichgültigkeit bewahren, wie Peter aus dem Augenwinkel heraus amüsiert beobachtete. Adamo trommelte mit den Fingern einen unsteten Rhythmus auf die Tischplatte und Alessio hatte sich bei seinen Worten zu voller Größe aufgerichtet und blickte starr nach vorn.
Peter drückte eine Taste und ein Bild erschien hinter ihm auf der Wand. Darauf war ein kleiner komplett schwarzer Würfel zu erkennen. Darüber standen in einer schlichten Schrift die Worte »M-Droid. Die neue Generation Roboter.«
Der plumpe Werbesatz brachte ein Grinsen auf Lisa-Maries angespanntes Gesicht.
»Um diesen kleinen Roboter«, sagte Peter und zeigte in Richtung des Würfels, »geht es uns bei diesem Job.«
Er drückte eine weitere Taste. Neben dem Roboter tauchten eine schwarz glänzende Murmel und eine viereckige grüne Platine auf.
»Diese Bilder entstammen der offiziellen Präsentation zum M-Droid-Projekt, die nächsten Monat stattfinden soll.«
Die Präsentation hatte Lewandowski sogar auf legalem Wege besorgt. In den höheren Kreisen der Universität kursierten die Bilder seit Tagen, um das Interesse an dem Projekt zu schüren.
»Aber was ist das Besondere daran?«, fragte Justus stirnrunzelnd. »Androiden in der Form gibt es doch schon ewig.«
Peter lächelte. Der Junge mochte begabt sein, aber wie wichtig Zurückhaltung im entscheidenden Moment war, musste ihm die Zeit noch zeigen.
»Für diejenigen von euch, die ihn noch nicht kennen. Das ist Justus. Er wird für uns einige der technischen Probleme unserer kleinen Besichtigungstour in der Universität lösen. Deine Frage beantworte ich gleich«, fügte er dann an ihn gewandt hinzu, »lass mich vorher noch ein paar Kleinigkeiten los werden.«
Das nächste Bild zeigte eine Luftaufnahme der Universität. Peter deutete mit dem Finger auf eines der Gebäude. »Hier im ersten Stock befindet sich das gute Stück. Die ganze Nummer ist für den 03.Oktober geplant. Berlin feiert 200 Jahre Hauptstadt, dafür wird die Universität auch für Besucher geöffnet. Wir sollten relativ problemlos reinkommen. Danach wird es kritisch.«
Er blickte in ihre gespannten Gesichter, wohl wissend, dass Adamo und Alessio ebenso genau zuhörten wie sein voraussichtliches Team. Er wollte nicht, dass sie ihm ein weiteres Mal in die Pläne pfuschten und alles ruinierten, deshalb musste er sich vorsichtiger ausdrücken, als ihm lieb war.
»Wir müssen zuerst durch mehrere Sicherheitsschleusen. Unser Ziel ist ein Labor am Lehrstuhl für Neo-Robotik. Dort sperren, wenn niemand arbeitet, Lichtschranken und Wärmesensoren den Durchgang, das wird nicht ganz einfach. Der M-Droid-Prototyp ist derzeit hinter einer gesondert mit Strom versorgten Schleuse verborgen, die außerhalb der Arbeitszeiten in die Wand gefahren wird. Das Ganze hätte eigentlich eine Nummer einfacher ablaufen sollen, aber es gab einige Komplikationen. Eine undichte Stelle«, er warf einen vielsagenden Blick in den hinteren Teil des Raumes, »deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen mittlerweile sehr hoch. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Wenn das Ding in die Wand gefahren wird, können wir dann nicht von außen an die Wand ran, statt durch das ganze Gebäude?«, warf Lisa-Marie ein. Sie hatte seit ihrer Rückkehr in die Freiheit immer wieder versucht, den Plan aus ihm herauszukitzeln, aber er hatte sie stets auf heute vertröstet.
»Es ist leider keine Außenwand. Aber selbst wenn es so wäre: Die Außenwände im ganzen Gebäude sind mit Sensoren gepflastert, darüber kommen wir nicht rein.«
Lisa-Marie verzog den Mund, sagte aber nichts dazu.
Erneut meldete sich Justus zu Wort: »Können wir diese ganzen Sicherheitsschleusen nicht einfach überbrücken? Die muss man doch irgendwie anzapfen können. Dann muss nur einer rein, sich den Droiden schnappen und wieder raus«
»Ein paar Vermutungen darüber, dass irgendwas in der Uni geplant ist, sind schon durchgesickert«, antwortete Peter und schüttelte den Kopf, »deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Wir werden vor Ort sein müssen, sonst kriegen wir keinen Zugang. Die Nummer wird kein Spaziergang.« Peter fuhr fort.
»Wir haben sehr viele Leute da draußen, die Daten für uns gesammelt haben und uns auch weiterhin zur Verfügung stehen. Fluchtwege freihalten und uns im Notfall alarmieren können. Beim Hauptteil der Arbeit können wir uns aber auf niemanden sonst verlassen. Skinny wird für die Schleusen zuständig sein, Justus für die Technik und Lisa-Marie und ich für die praktischen Arbeiten. Lewandowski wird sich im Hintergrund halten, um nicht von Kollegen oder Studenten erkannt zu werden. Er greift nur ein, wenn es unbedingt notwendig ist.«
Alessio und Adamo blickten ihn finster an. Sie schienen bisher noch nicht allzu zufrieden mit den vagen Andeutungen, die er gemacht hatte. Sie hatten selbstverständlich mehr Details erwartet. Peter gab sich alle Mühe, das nach außen hin nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Aber kommen wir zum interessanten Teil«, er zeigte auf die Leinwand und schaltete ein Bild zurück. »Der Gewinn, den wir bei Erfolg rausschlagen können, wird 50 / 50 zwischen uns auf der einen und unseren Auftraggebern auf der anderen Seite aufgeteilt. Es gibt einen Interessenten, der bereit ist, 50 Millionen für alle drei Teile zusammen auszugeben. Das sollte eine Weile reichen.«
Lisa-Marie konnte ihr Erstaunen über die Summe besser überspielen als Justus, der pfeifend Luft ausstieß.
»Um deine Frage zu beantworten, Justus, das Besondere an diesem Androiden und der Grund, warum er so viel einbringt und dermaßen unter Verschluss gehalten wird, ist nicht die Form, die du hier auf dem Bild siehst. Das was hier einfach so nach einem Würfel aussieht, besteht aus einer Vielzahl kleiner Bausteine, die sich beliebig anordnen lassen.« Justus schien noch immer nicht zu begreifen. »Der Roboter kann sein Aussehen fast beliebig verändern«, fuhr Peter fort. »In Verbindung mit einer leistungsstarken, winzigen Kamera und der besten künstlichen Intelligenz, die es je gegeben hat«, er deutete auf den Mikrochip, »macht das den M-Droid unglaublich einsatzfähig. Nach dem zu urteilen, was wir wissen und was die Ankündigungen erwarten lassen, dürfte es mit dieser künstlichen Intelligenz möglich sein an so gut wie jeder Form des Passwortschutzes vorbeizukommen, wenn man sie richtig einsetzt.«
Alle schwiegen sie für einen Augenblick, während die Worte nachwirkten. Jeder von ihnen dachte im Stillen über mögliche Einsatzgebiete einer solchen Technologie nach. Peter wartete auf Rückfragen, doch die blieben erstmal aus. Er wechselte einen schnellen Blick mit Lewandowski, dann sagte er abrupt: »Ich denke, das wär‘s für heute. Alles weitere besprechen wir dann während des Jobs.«
Bis auf Lewandowski wirkten sie alle irritiert.
»Was soll das?«, polterte Alessios dunkle Stimme einen Augenblick später los. Peter blickte die beiden Brüder ruhig an.
»Gibt es irgendein Problem?«
Schon zum zweiten Mal in den letzten Minuten spürte er sein Handy in der Tasche vibrieren, aber es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Telefonate.
»Wir finanzieren den Job, wir haben dich beauftragt«, sagte Adamo gereizt.
Alessio schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Wir haben ein verdammtes Recht darauf, alle Details zu wissen.« Sein Kopf war vor Wut rot gefärbt.
»Ich kann nicht behaupten, dass es mir beim letzten Mal viel gebracht hätte, dass alle über alles informiert waren«, sagte Peter kalt und ließ seinen Blick nicht von den beiden Brüdern ab. »Deswegen wird es dieses Mal anders laufen.«
Die beiden Brüder beschimpften ihn noch ein paar Minuten, doch Peter reagierte nicht darauf, er stand einfach ruhig da. Als keinerlei Reaktion kam, warfen sie Peter noch einen finsteren Blick zu und verließen verärgert den Raum.
Er sah Justus an. »Dein Einsatz, Junge.«
Der zog aus seiner Tasche ein winziges Gerät, klappte es auf und begann damit in großen Schritten das Zimmer abzulaufen und es immer wieder kurz gegen die Wand zu halten. Als Justus fertig war, winkte Peter Lewandowski zu sich heran und ließ sich dessen Laptop zeigen. Ein Programm darauf, das dieser schon zu ihrer Studienzeit geschrieben hatte, zeigte jedes noch so kleine elektrische Gerät in der Umgebung an, und die Strahlung, die von ihm ausging. Damit konnten Wanzen und sonstige Funksignale gut im Blick behalten werden. Der Verlauf der letzten Minuten zeigte ein stetiges Abflachen der Signale an, bis statt Wanzen nur noch ihre Telefone und Computer schemenhaft als Signalquellen hier im Raum dargestellt wurden.
»Gut, Alessio und Adamo trauen mir nicht. Soweit keine Überraschungen.«
»Ich hab dir doch gesagt, der Junge ist gut«, sagte Lewandowski mit einem Nicken in Richtung Justus.
Lewandowski hatte ihm Justus erst ein paar Stunden zuvor vorgestellt. Es war einer seiner Mitarbeiter. Technisch versiert, außergewöhnlich begabt und nicht allzu engstirnig, was seine Auslegung von Gesetzen, Recht und Ordnung anging.
»Hattest du denn damit gerechnet, dass sie uns abhören?«, fragte Lisa-Marie, die nun auch an seinen Tisch gekommen war, um sich anzuschauen, was hier gespielt wurde. Justus hielt sich im Hintergrund und wirkte zufrieden, dass er seinen ersten kleinen Auftrag mit Bravour erfüllt hatte. Ihm war nicht viel Zeit geblieben eine Möglichkeit zu finden, schnell und zuverlässig Wanzen auszuschalten, nachdem ihn Lewandowski heute Morgen informiert hatte.
»Ich war mir sicher«, sagte Peter lächelnd, »und auch, dass sie die erste Gelegenheit nutzen würden, um sich aus dem Staub zu machen, damit wir unter uns sind. Aber kommen wir endlich zu den Details des Plans.«
Lewandowski hatte in der Zwischenzeit etwas auf seinem Handy gelesen. Sein ernster, ungläubiger Gesichtsausdruck ließ Peter aufmerken. Dann sagte Lewandowski mit tonloser Stimme:
»Ich glaube, du musst den Plan umschreiben.« Er schluckte.
»Skinny ist tot«.