Gedichte (163) – Diese eine Zeit

Diese eine Zeit

Sitz mit meinem kleinen Sohn
Zwei Jahre mittlerweile schon
Frühmorgens in der Trambahnfahrt
Die das Kind zur Kita karrt
Um uns Kinder, Jugendliche
Auf dem Weg zum Schulbank-Drücken
Unfassbare Schweissgerüche
Die Sauerstoff im Keim ersticken

Doch deutlich schlimmer sind Gespräche
Vor Coolness und Testosteron
Und Meinung trotzen sie nun schon
Dass ich mich doch ganz gern erbräche

Wer auf wen steht, wer mit wem geht
Wer hat wen mal was gefragt
Und wer hat darauf was gesagt
Lauter Hähne, viele Körbe
Mädels, die man gern umwörbe
Hormonerfüllt und nix dahinter

Da sitz ich in der Tram im Winter
Erinner mich an meine Jugend
Große Sprüche, wenig Tugend
An Stimmbruch, Akne, diesen Scheiss
Den ganzen Mädels-Teufelskreis

Von flirten wollen und nicht können
Peinlich stumpfes Frauen-nachrennen

Schau meinen Sohn an, denk bei mir
Ein paar Jahre bleiben dir
Dann ist vorerst alles zu spät
Ich fürchte mich, mein Sohnemann,
Vor deiner Pubertät

Gedichte (162) – Jeden Montag

Jeden Montag

Jeden Montag wird marschiert
Durch große Städte wird spaziert
So sind sie demonstrierend tätig

Manch alter Gedanke erstrahlt ihnen schön
Ob des neuen Gewandes
Und meine Angst wächst stetig
Vor der Idiotisierung des Abendlandes

Gedichte (161) – Mal wieder

Mal wieder

Mal wieder Abends kinderlos
Das erste Mal seit langer Zeit
Die Vorfreude, ja die ist groß,
Will heut noch weg und bin bereit

Mal wieder raus, mal wieder feiern,
Nee, bis früh morgens tanz ich nicht
Werd auch nicht saufen bis zum reiern
Heimwärts stolpern, hackedicht

Brauch meine Fitness morgen wieder
Gröl heut nächtens keine Lieder
Mampf auf dem Heimweg keinen Döner
Vitamine wären schöner
Werd nur gesittet feiern gehen
Die Welt soll morgen sich nicht drehen
Es muss ja nicht stets überborden

Mann, was bin ich alt geworden

So eine Facebook-Seite…

In Vorbereitung auf sehr unterhaltsame Neuigkeiten, die es demnächst geben wird, habe ich mir mal so eine Facebook-Gefällt-mir-Seite gemacht. Ich würde mich ausserordentlich freuen, wenn der eine oder andere von euch sie mal drücken, äh, liken würde.

https://www.facebook.com/larrydevito.de

Fühlt euch auch gedrückt und geliked,

Viele Grüße
Arno

Gedichte (160) – Arbeitsbedingungen

Arbeitsbedingungen

Viel Arbeit, das macht jedes Kind
Weil Kinder ganz einfach so sind
braucht Zeit und auch Aufmerksamkeit
Bringt viel Freude, Heiterkeit

Doch dafür die Bedingungen
Sind natürlich notgedrungen
Keinem Tarifvertrag entsprungen

24-Stunden-Schichten
Wutanfälle musst du schlichten
Pflegen, wickeln, duschen, füttern
All dies obliegt nicht nur den Müttern

Nein, auch Väter dürfen ran
Bis man manchmal nicht mehr kann
Doch ein recht auf Urlaubstage
Statt Gretchen- nun Großelternfrage

Und die, die wohnen weit weit weg
Nicht immer Zeit zu diesem Zweck
Extra so weit anzureisen
Der Alltag würde grob entgleisen

So beschliesst der Arbeitnehmer
Häufig Eltern auch genannt
Wird der Stress immer extremer
Jetzt wird aber mal entspannt

So gibt es alle paar Wochen Tage
Da ist es einfach nicht die Frage
Darf das Kindchen Filme gucken?
Schau wie da unsere Achseln zucken
Kinder-DVDs hinein
Ab auf die Couch, das wird so fein
Wir relaxen, Kindchen glotzt
Heute wird nicht mehr gemotzt
Und auch nichts sinnvolles getan
Ständiger Erziehungswahn

Kriegt das Kind heut Süßigkeit?
Klar, da steht es doch bereit
Wenn die leer sind
– kriegst du mehr, Kind
Iss sie auf, echt, ungelogen
Ab morgen wird wieder erzogen.

Gedichte (159) – Der Bischof

Hallo allerseits,
Matthias und ich bitten ja vor jedem Dichtungsring um ein Thema, um ein entsprechendes Gedicht dazu zu schreiben. Letztes Mal bekamen wir ein Bild von dem ich vermutete, dass es sich dabei um einen gemalten Bischof handelt. Darum ist diese Gedicht entstanden.
Habt eine schöne Zeit,
Viele Grüße,
Arno


Der Bischof

Starr steht er da auf weißem Grund
Die Mütze spitz, sein Stab ganz rund
und schneckengleich
Verbunden mit dem Himmelsreich
Der Bischof sieht mich bärtig an
Weil er mehr nicht tun kann
Sagt nichts, tut nichts, optimal
Wird nie Papst, nie Kardinal
Entscheidet und er predigt nicht

Mit Bleistiftstrich ist er gemalt
In einem deutlich bess’ren Licht

Wie er da so vom Blatte strahlt
Ist er befreit von allem Schlechten

Im Gegensatz zu einem echten
Stellt der gemalte Glaubensmann
Zumindest keinen Unfug an

Gedichte (158) – Nachwuchs

Nachwuchs

Wochenlang hab ich gezittert
Bin vom Berg ins Tal geschlittert
Auf dem Weg der Emotionen
Wir werden bald das Kind entthronen

Hoffentlich kommt er gut klar
Ist lieb zu ihr und hält sich wacker
Nicht böse oder sonderbar
Der kleine – jetzt dann große – Racker

Und eines Tags ist es soweit
Mit neugeborenem Töchterlein
Winzig, süß und zart und fein
Wir sind zuhause, es wird Zeit
Dem Großen sie jetzt vorzustellen
Sich zu ihm rüber zu gesellen

Sprech schnell noch Gebet und Bitte
Doch er findet sie ganz niedlich
Das Baby da in unserer Mitte
Ist lieb, fröhlich und völlig friedlich

Er will sogar noch mit ihr schmusen
Verhält sich sont auch ganz nach Sitte
Ich fürchtete welch Leid er litte
Das Baby saugt an Mamas Busen
Der Große nimmt alles gelassen
Und ich, ich kann es kaum noch fassen

Er macht sich Sorgen weil sie weint
Man gutes Essen ihr verneint
So schlägt er ganz ohne Humor
Uns allerhand für’s Baby vor:

Baby weint – mag sie ein TicTac?
Oder irgendeinen anderen Schnick – Schnack?
Spielzeug? Will sie Fernsehen gucken?
Oder Apfelschorle schlucken?

Baby weint – will sie ein Eis?
Eltern sind der letzte Scheiss
Von denen kriegt das Schwesterlein
Nix ausser Brust, das ist gemein

Gedichte (157) – Erziehung ist Scheiße

Erziehung ist scheisse

Sitz gerade
Iss mal richtig
Sei lieb und freundlich
Das ist wichtig

Und hör auf deine Eltern
Die sind erziehungsberechtigt
Wissen, was im Leben zählt
Sind zur Erziehung auch ermächtigt
Vom Leben wissend und gestählt

Sei nicht vorlaut
Red keinen Stuss
Sei nett, charmant und selbstbewusst

So hörte ich als Kind die Sätze
Bekam davon gern mal die Krätze
Und dachte so bei mir ganz leise:
Erziehung – das ist ja mal scheiße

Heut hab ich zwei Kinderlein
Finde die ganz toll und fein
Doch an manchen langen Tagen
Hör ich mich dann selber sagen:
Sitz gerade
Iss mal richtig
Sei lieb und brav
Das ist sehr wichtig

Hör auf uns und hör auf mich
Das ist ganz ganz dolle wichtig
Muss streng sein, die wollen Grenzen testen
Darf nicht verhätscheln und nicht mästen
Ihnen nicht alles erlauben

Seh die rotverheulten Augen
Im Supermarkt vor Schokolade
Üb ich Strenge? Gibt es Gnade?

Und ich denk bei mir ganz leise:
Erziehung ist für alle scheisse

Sophie Holm 1 – Eine einfache Tasche

Einen wunderschönen guten Abend allerseits,

es gibt ein paar Träume, die ich rund um das Schreiben habe. Dinge, die ich gerne machen oder schaffen möchte. Manche davon, beispielsweise meinen ersten Roman zu veröffentlichen, habe ich inzwischen erlebt, andere harren noch der Dinge, die da kommen. Einer dieser Träume war es  immer, eine Sherlock Holmes – Adaption zu schreiben. Seit Kindertagen bin ich ein großer Fan dieser Figur und der Geschichten und Fälle. In den letzten Jahren habe ich allerdings festgestellt, dass ich öfter Schwierigkeiten habe, wenn Autoren mit Sherlock und Watson an neuen Fällen arbeiten. Der Gedanke „Also das hätte Sherlock Holmes niemals gesagt“ ist zwar merkwürdig, kam mir aber des öfteren bei Fremdtexten, die die „klassischen“ Figuren und Schauplätze nutzten. So habe ich mit einer Adaption begonnen, die nicht in England, sondern in Berlin spielt. Sherlock Holmes ist kein Mann und etablierter Ermittler, sondern eine Studentin der Mathematik und auch sonst ist alles etwas anders. Die Erinnerung an die Geschichten  Arthur Conan Doyles ist angenehm von der Geschichte weggerückt und ich bin gespannt, wie sie euch gefallen wird. Ich habe im Moment die Hoffnung, dass es noch zahlreiche weitere Geschichten rund um Sophie Holm geben wird.

Liebe Grüße,
Arno

PS: Die Geschichte steht auch als Download in den Formaten PDF, MOBI und EPUB zur Verfügung.

Sophie Holm 1 – Eine einfache Tasche

1

Das erste Treffen mit der Frau, die mein Leben in den folgenden Jahrzehnten wie keine andere beeinflussen sollte, verlief ganz unspektakulär. Ich lernte sie im Treppenhaus während meines Umzugs kennen. Vollkommen verschwitzt und am Ende meiner Kräfte trug ich eine mit „Kram“ beschriftete Kiste die drei Stockwerke zu meiner neuen Bleibe hoch. Die Berliner Altbau-Wohnungen haben mit ihren hohen Decken zweifellos ihren Charme, aber die Treppenhäuser fordern dafür leider ungleich mehr Ausdauer. Gerade hatte ich die zweite Etage geschafft und wollte mich an die nächsten Stufen machen.
„Du ziehst in die Dritte ein, oder?“
Ich erschrak und hätte beinahe meine Kiste fallen lassen. Jetzt sah ich, dass eine Frau die Treppe herunter kam, die ich mich gerade hinauf mühen wollte. Sie war schlank und wirkte erstaunlich groß auf mich, was aber daran liegen konnte, dass sie ein paar Stufen über mir stand. Ihr glattes blondes Haar hing weit über die Schultern und sie lächelte mich aufmunternd an.
„Stimmt“, presste ich bei dem Versuch hervor, trotz der schweren Kiste möglichst normal zu klingen.
„Dann sind wir ab jetzt Nachbarn“, sagte sie und kam die restlichen Stufen herunter. Sie streckte mir die Hand hin.
„Sophie“, stellte sie sich vor und ich wog ab, höflich die Kiste abzustellen und ihr die Hand zu geben oder unhöflich zu sein, aber die Kraft sparen, den Umzugskarton erneut hochzuwuchten. Ich entschied mich spontan für einen schlechten Mittelweg, hielt ihr zuerst ungelenk den Ellenbogen hin, sah dann schnell ein, wie lächerlich ich wirkte, und stellte die Kiste ab. Dann gab ich ihr doch noch eilig die Hand. Sie schien sich bestens zu amüsieren.
„Jan“, stellte ich mich vor, „Jan Waisen.“ Wieso hatte ich meinen Nachnamen gesagt, wo sie es doch bei Sophie belassen hatte?
„Wie das Waisenkind?“
„Ja, aber meine Eltern warten unten am Auto.“
Antworten auf Sprüche zu meinem Namen kamen so selbstverständlich über meine Lippen, wie nur jahrelanges Training durch nervende Mitschüler es hervorrufen kann. Zu meinem Glück lachte sie kurz auf. Ihre Nase war spitz und die Wangenknochen deutlich zu sehen. Sophie war dezent geschminkt und sie gefiel mir gut. Nicht dass es mir eingefallen wäre, sie anzugraben. Dafür waren mir Spiegel zu vertraut.
„WG oder allein?“
Sie riss mich aus meinen Gedanken und ich brauchte einen kurzen Moment, um ihre Frage zu verstehen.
„Ich wohne erstmal allein. Je nach dem, wie es läuft, und wie das Geld reicht, suche ich mir vielleicht noch einen Mitbewohner.“
„Student?“
Ich nickte. „Mathe an der TU.“
„Wir auch.“
Sie wirkte erfreut. Und auf meinen fragenden Blick ergänzte sie:
„An der TU meine ich. Wir sind eine Dreier-WG. Ich mache Mathe, Julia Informatik und Maren Soziologie.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich muss mal weiter, wir sehen uns bestimmt die nächsten Tage mal.“
Und schon war sie an mir vorbei und aus dem Blick. Ich machte mich daran, die Kiste in mein neues Heim zu bringen und freute mich, an meinem ersten Tag in Berlin so unerwartet schnell jemanden mit einer Gemeinsamkeit kennengelernt zu haben.

2

An einem verregneten Mittwochnachmittag knapp eine Woche später stand ich mit den drei eben erwähnten jungen Frauen aus der WG an einem kleinen Bistrotisch im Hauptgebäude der Technischen Universität. Es war mein dritter Tag an der Uni und da ich aus meinem eigenen Jahrgang bisher niemanden besser kannte, hatte ich mich auf einen Kaffee zu ihnen gesellt. In der vergangenen Woche hatte ich erstaunlich viel Zeit in der Nachbar-WG verbracht und kam mit dem Auspacken und dem Aufbau der Möbel nur schlecht voran. Gleich am ersten Abend hatte Sophie bei mir geklingelt und mich für den nächsten Tag zum Frühstück mit ihnen in die WG eingeladen. An den Abenden tranken wir Bier und den einen oder anderen Scotch miteinander, sie hatten mir die Uni gezeigt und auch sonst manches von Berlin. Vor allem mit Sophie verstand ich mich gut. Sie war in erstaunlich vielen Bereichen gebildet und es schien kaum eine Fachrichtung zu geben, für die sie sich nicht interessierte.
An dem besagten Mittwochnachmittag wirkte Julia gestresst und ein bisschen fahrig. Ich überlegte, ob ich sie darauf ansprechen sollte, aber wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Während ich noch dabei war, mir einen Satz zurecht zu legen, ergriff sie das Wort:
„Sophie, wo du doch so auf Rätsel stehst. Ich hätte da eins für dich.“
Sophie sah sie interessiert an.
„Schieß los.“
„Ich hatte von 10 – 14 Uhr Vorlesung im Audimax.“
„Professor Treibel?“
„Genau, spielt aber jetzt keine Rolle. Ich sitze ja meistens in der letzten Reihe. Kurz nach elf wollte ich mir ein Taschentuch aus meiner Handtasche nehmen, schau zu Boden, aber sie war weg. Einfach spurlos verschwunden. Um mich herum hatte niemand was mitbekommen. Ich schätze, jemand ist von hinten an die Bankreihe gegangen, hat die Tasche weggezogen und ist einfach damit rausgegangen. Bestimmt eine Frau.“
Sophie hatte der kurzen Erzählung interessiert gelauscht und wirkte nachdenklich.
„Wieso denkst du, dass es eine Frau war?“, fragte sie.
„Ein Mann mit meiner schwarzen Handtasche wäre doch aufgefallen“, antwortete Julia ganz selbstverständlich. „Auf jeden Fall war ich völlig in Panik und hab in der Pause zwischen den Vorlesungen alles abgesucht, aber die Tasche nicht gefunden. Ich hab gleich meine Karte gesperrt und so, mich dann aber zurück in die Vorlesung gesetzt und irgendwann während des zweiten Teils war meine Tasche plötzlich wieder neben mir. Ich hab richtig aufgeschrien für einen Moment, zum Glück hat der Prof es nicht gehört oder ignoriert. Und das Beste: Es ist alles noch da. Geld, Karten, einfach alles.“
„Und jetzt fragst du dich, was da passiert ist. Klingt auf jeden Fall interessant“, sagte Sophie und wiegte den Kopf in Gedanken. „Wann schätzt du, war die Handtasche wieder da?“
„Es war noch ziemlich am Anfang des zweiten Teils. Vielleicht halb eins. Jetzt muss ich versuchen, vor dem Trip nach Genua die Karte wieder entsperrt zu kriegen.“
„Kann ich sie mir nachher mal ausleihen wenn wir zuhause sind und in Ruhe untersuchen? Die Tasche meine ich.“
Julia lachte.
„Schon klar“, sagte sie dann. „Soweit ich gesehen habe, fehlt nichts und es ist auch nichts drin, was nicht vorher drin war. Aber schau sie dir ruhig an. Falls du irgendwas Interessantes findest, sag Bescheid. “
„Bestimmt irgendein Scherzkeks, der sich einen Spaß erlaubt hat“, meinte Maren.
„Hab ich auch überlegt“, stimmte Julia ihr zu. „Wenn ja, dann kann ich darüber leider gar nicht lachen.“
Damit wandte sich die Unterhaltung wieder anderen Bereichen zu. Doch mich beschäftigte das Rätsel der verschwundenen Handtasche weiter und Sophies einsilbige Gesprächsteilnahme machte mir den Eindruck, dass es ihr ebenso ging.

3

Zwei Stunden später saß ich in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause und grübelte noch immer, welchen Grund es neben einemschlechten Scherz noch geben konnte, warum man Julia die Handtasche stahl und zurückgab, ohne Geld oder irgendetwas ähnliches zu entwenden. Es gab Mittel und Wege EC- und Kreditkarten zu kopieren, dafür benötigte man die Karten nach einem kurzen Moment nicht mehr. Aber die Aktion mit der Handtasche war reichlich gefährlich, das lohnte sich für solche Arten von Kriminalität sicher kaum. Vielleicht ein heimlicher Verehrer, der mehr über Julia herausfinden wollte oder jemand, der sich an dem Inhalt ihrer Handtasche irgendwie aufgeilte. Meine Ideen wurden immer abstruser, aber es fehlte mir an sinnvollen Erklärungen. Und was hatte sie damit gemeint, Sophie interessiere sich doch für Rätsel? Das war von allen einfach so ohne jeden Kommentar hingenommen worden. Da gab es sicher eine Vorgeschichte dazu. Ich wusste, dass sie sich sehr für Logik und Kryptologie interessierte, vielleicht war das der Grund. Grübelnd stieg ich aus der U-Bahn und schloss knapp zehn Minuten später meine Wohnungstür auf, als ich sah, wie Sophie mit zwei dicken Einkaufstüten beladen die Treppe hochkam.
„Na, bist du…“, begann ich sie nach Julias Tasche zu fragen, doch sie unterbrach mich augenblicklich.
„Du hast doch die Tage ein Regal abgeschliffen. Hast du das Schleifpapier noch?“
„Klar“, antwortete ich und versuchte nicht daran zu denken, in welchem Zustand der Regalversuch Marke Eigenbau sich derzeit befand. Zum Heimwerker war ich nicht geboren.
„Kann ich es mir ausleihen? Ich habe eine Menge eingekauft“, sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Tragetaschen, „aber gerade ist mir eingefallen, dass ich das Schleifpapier komplett vergessen habe.“
Ich holte ihr zwei unterschiedlich raue, rote Streifen des Papiers und bemühte mich, sie dabei nicht in die Wohnung gucken zu lassen. „Wozu brauchst du die denn?“
„Mal sehen. Mir wird schon etwas einfallen“, sagte sie mit ihrem charmantesten Lächeln, „danke dir auf jeden Fall.“
Sie drehte sich um und schloss ihre eigene Wohnung auf, doch auf meine Frage, ob sie wegen Julias Tasche schon etwas neues wisse, drehte sie sich wieder um.
„Alles zu seiner Zeit“, antwortete sie zweideutig und verschwand in ihrer Wohnung.

4

Donnerstags hatte ich abgesehen von einem Tutorium, das erst in der kommenden Woche starten würde, am Nachmittag keine Termine. So saß ich in meiner Wohnung und sortierte meine Cds ein, als ich eine Nachricht von Sophie bekam. Sie fragte, ob ich nicht auf einen Kaffee rüberkommen wollte. Wenig später ließen wir uns in dem geräumigen Flur nieder, der der WG als Wohnzimmerdiente. Sie deutete auf den Stuhl neben sich. Ich fragte gar nicht erst nach der Tasche sondern setzte wieder bei unserer Unterhaltung vom Vortag an, ob es trotz des Hypes eine gute Idee war, zum Studium nach Berlin zu ziehen. Sophie würde mir schon von Julias Tasche erzählen, falls es Neuigkeiten gab. Während sie dabei war, mir Kaffee einzuschenken klingelte jemand Sturm.
„Erwartest du Besuch?“, fragte ich Sophie und sie wiegte den Kopf leicht hin und her.
„Gewissermaßen“, sagte sie mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen. Dann stand sie auf und drückte den Türöffner, ohne die Sprechanlage zu benutzen. Nach kurzer Zeit trat ein junger Mann ein, schlank und mit 3-Tage-Bart. Ich glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben.
„Morgen, Sophie“, sagte er, außer Puste von den vielen Stufen. „Ich soll Julia ihre Handtasche zum Bahnhof bringen. Sie hat es irgendwie geschafft, sie zu vergessen.“ Er sah sich suchend um. Ich wollte Sophie einen vielsagenden Blick zuwerfen, doch sie nickte nur dem jungen Mann zu und deutete neben die Tür von Julias Zimmer. Auf mehreren Paar Schuhen, die sorgfältig nebeneinander aufgereiht waren lagen dort zwei Handtaschen. Die schwarze und daneben eine ockerfarbene. Mit schnellen Schritten lief der Mann dorthin und nahm die schwarze Tasche. Er schickte sich an, zu gehen, da sagte Sophie: „Die andere Tasche.“ Er sah sie verwirrt an.
„Aber Julia nimmt doch immer die hier. Sie hat bestimmt die gemeint.“
Ich konnte sehen, wie er nervöser wurde. Als Sophie ihn erneut aufforderte, die andere zu nehmen, schlug er vor, die Sachen schnell in die Schwarze umzupacken.
„Falls du das hier suchst“, sagte Sophie und hielt ein kleines Tütchen mit bräunlichem Pulver hoch, „mach dir nicht zu viele Hoffnungen. Julia hat übrigens einen früheren Zug genommen und ihre schwarze Handtasche hat sie dabei.“
„Aber was? Wieso?“ Dem Mann fehlten die Worte. Er sah jetzt vollkommen hilflos aus und blickte die Tasche in seiner Hand an. „Ein Duplikat“, beantwortete Sophie die Frage, die im Raum stand. Ich wollte sehen, was du tust. Ich würde sagen, du hast deiner Schwester einiges zu erklären, wenn sie wieder da ist. Und Julias Tasche enthält nur noch ein kleines Päckchen mit Rohrzucker. Du solltest vielleicht deinen italienischen Kontakt benachrichtigen. Ich weiß nicht, wie humorvoll der bei solchen Sachen ist“, sagte sie und wies zur Tür. Der junge Mann sagte nichts, ließ die Handtasche zu Boden fallen und trottete verwirrt und geschlagen zur Tür. Julias Bruder war das also. Jetzt erinnerte ich mich auch, ihn auf einem Foto in Julias Zimmer gesehen zu haben. „Ach, und Korbinian“, fügte Sophie noch hinzu, als er im Türrahmen stand: „Ich habe eine Probe hiervon“, sie deutete auf das Tütchen, „anonym ans BKA geschickt. Sollte ich mitbekommen, dass du noch mehr davon herstellst, schicke ich deinen Namen hinterher.“
Der Mann presste die Lippen aufeinander, nickte und zog die Tür hinter sich zu. Es wurde es still in der Wohnung.

5

Eine Weile saßen wir schweigend da. Ich war vollkommen verdutzt. Neben mir verlor sich die dominante, kalte Mimik und Gestik, die Sophie gerade so überzeugend an den Tag gelegt hatte, sie entspannte sich und der Hauch eines Lächelns kehrte in ihr Gesicht zurück. Sophie stand auf und kam aus der Küche mit einer Flasche Glenfiddich und zwei bauchigen Gläsern wieder. Auf ihren fragenden Blick nickte ich nur leicht. Es war zu früh, aber auf den Schreck tat der Scotch bestimmt gut. Wir tranken jeder einen Schluck, dann fragte ich: „Kannst du mir erklären, was da gerade passiert ist?“
„Von Anfang an?“, fragte Sophie. Ich nickte nur. „Begonnen hat es damit, dass ich gestern noch Julias Tasche untersucht habe. Dabei trennte ich die Nähte an einer Seitenwand der Tasche auf und fand das kleine Päckchen, das du gerade im Einsatz gesehen hast.“
„Wie hast du das denn herausgefunden?“, fragte ich sie. „Du konntest ja schlecht auf gut Glück sämtliche Nähte auftrennen.“
„Die Naht war zwar sauber ausgeführt, aber der Faden war nicht im Geringsten abgenutzt, ganz im Gegensatz zu den anderen an der Tasche. Julia schleppt sie wirklich ständig mit sich herum. Die Frage war also, wer etwas davon hätte irgendeine Chemikalie in Julias Tasche einzunähen. Es musste jemand sein, der sie und ihre Gewohnheiten gut kennt, um zu wissen, dass sie viel diese Tasche benutzt, wann sie in welcher Vorlesung wo sitzt und so weiter. Ich hatte erst die Vermutung, man könnte die Daten über sie aus den Sozialen Netzwerken auslesen, aber da ist sie nicht aktiv genug, als dass man da all das zusammenbekommen könnte. Ich habe die Chemikalie untersucht und ein paar Versuchen unterzogen. Was es genau ist, weiß ich nicht, ich konnte es in mehreren Tests nicht eindeutig identifizieren. Dass es sich um eine Droge handelt, konnte ich nur vermuten, bis Korbinian es mir eben ungewollt bestätigt hat. Aber welche andere Art von Chemikalie sollte man so umständlich transportieren wollen? Mir kam Julias Trip nach Genua in den Sinn. Ich fragte sie ein wenig danach aus, und tatsächlich steckt ihr Cousin wohl immer mal wieder wegen Drogendelikten mit einem Bein hinter schwedischen Gardinen. Das passte zumindest. Mir fiel nur ein Mensch in Julias Umfeld ein, der finanzielle Probleme hat und sich mit Chemie auskennt. Soweit ich weiß ist er unter den besten seines Jahrgangs. Er musste die Probe, viel mehr kann das bisschen nicht sein, wohl irgendwie nach Italien bringen. Ich habe Korbinian eine Mail geschrieben, die ihm vorgaukelt, von Julia zu sein, die ihre Tasche vergessen hat. Es wird auch ihr Name als Absender angezeigt und ich habe geschrieben, dass niemand anderes von ihren Freunden Zeit hätte, ihr die Tasche zu bringen. Den Rest kennst du quasi.“
Eine Weile saß ich schweigend da und überlegte. „Du hättest aber die andere Tasche nicht unbedingt gebraucht, oder?“, fragte ich.
Sophie hob entschuldigend die Hände. „Ein kleiner Hang zum Drama, der mich von Zeit zu Zeit heimsucht. Aber es ging mir auch um eine Demonstration, damit er sich nicht zu sicher fühlt, sich auf frischer Tat ertappt vorkommt. Vielleicht schubst es ihn wieder in die richtige Richtung. Also habe ich eine zweite Tasche gekauft, sie mit deinem Schleifpapier entsprechend älter aussehen lassen und Julia ihre zurückgegeben. Die Frage war noch, ob ich die Polizei einschalte, aber ich habe es gelassen. Ich denke, das ist in Julias Sinne. Ich rede mit ihr darüber, wenn sie zurück ist.“
Ich trank einen weiteren Schluck und genoss das kurze Brennen in Hals und Rachen.
„Aber warum“, stellte ich die Frage, die mich am meisten beschäftigte, „hat er das Tütchen nicht einfach selbst hingebracht? Er hätte sich doch locker in den Zug setzen können, in Genua ist man schnell und die Chance erwischt zu werden ist minimal.“
„Du hast ihn doch gesehen, der ist viel zu ängstlich. Korbinian ist in seinem ganzen Leben noch kein wirkliches Risiko eingegangen.“
„Und warum wolltest du mich dabei haben bei der Aktion? Der Typ schien mir nicht sonderlich bedrohlich und ich wirke nicht gerade wie ein Bodyguard.“
Sophie lachte ihr herrliches Lachen. „Du schienst an der Sache interessiert zu sein, das ist eigentlich schon alles.“
Ein paar Minuten saßen wir schweigend da und drehten die Gläser in unseren Händen. „Und du hast sowas schon öfter gemacht? Rätsel gelöst, meine ich.“
Sophie nickte. „Ein kleines Hobby von mir, nichts weltbewegendes.“
„Wenn sowas wieder einmal vorkommt, kann ich wieder dabei sein?“
„Gern“, sagte sie lächelnd und wir prosteten uns zu, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie sehr dieses kleine Hobby unsere beiden Leben verändern würde.

Jack Rodman – das verteilte Hörbuch (1)

Einen wunderschönen guten Tag,

heute möchte ich euch in einer kleinen Herzensangelegenheit von mir um eure Mithilfe bitten. Ich träume schon lange davon, ein eigenes Hörbuch für meinen Roman Jack Rodman – die ganze Wahrheit zu haben. Keine Sorge, jetzt kommt kein Aufruf zum Crowdfunding, es geht um eine andere Art von Hilfe. Meine Bitte ist die Folgende: Lest eine Zeile, irgendeinen Satz oder Absatz aus meinem Roman für mich ein, nehmt euch dabei mit eurer Webcam, Handykamera oder ähnlichem auf und ladet den Clip wahlweise bei Youtube hoch oder schickt ihn mir an mail(ät)arno-wilhelm.de als Link oder Datei. Ziel des Ganzen ist eine Youtube-Hörbuch-Playlist, die ich mir sehr unterhaltsam vorstelle, wenn genügend Leute mitmachen.

Natürlich wäre es ein bisschen viel zu erwarten, dass jeder den Roman im Regal hat und einfach daraus lesen kann, aber da gibt es Abhilfe: Ihr könnt euch einfach aus der Vorschau bei Google Books nach Belieben euren Satz oder Absatz raussuchen.

Für den Anfang habe ich schonmal die ersten vier Sätze des ersten Kapitels aufgenommen:

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=YiozTuQoCbA&feature=youtu.be]

Ich hoffe, ihr macht mit und schickt mir bald eure Videos!

Mit den allerbesten Grüßen,
Arno