Dem Ende entgegen (10)

Guten Tag allerseits,

ich vermute, mit der Geschichte wird es noch diese Woche zuende gehen. Kommen wir also zum vorletzten Teil von „Dem Ende entgegen“.

Ich hoffe er wird euch gefallen und wer Zeit hat, kommt morgen Abend zum Dichtungsring im Laika in Berlin.

Viele herzlichste Grüße
Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1 – 10

Kapitel 10

Als die Tür ins Schloss fiel lehnte Micha sich in seinem Stuhl zurück. Als Teenager war er oft mit Freunden und Bekannten im Urlaub zum Klippenspringen gegangen. Das Gefühl, am Rand einer sehr hohen Klippe zu stehen und nach unten ins Wasser zu blicken, ähnelte dem, was er im Augenblick empfand, sehr. Er wusste, er würde den letzten Schritt tun, doch noch rang er mit sich selbst, um den richtigen Zeitpunkt zu finden. Was für eine seltsame Unterhaltung das eben gewesen war, dachte er. Sein Gefühl sagte ihm, dass er mit seiner Ansprache irgendwas in Tim bewirkt hatte. Ob das reichen würde, um ihn von dem Grund, aus dem er hier war, abzubringen? Sicher war er sich nicht, doch zu wissen, dass er versucht hatte, jemandem vor einem so großen Fehler zu bewahren, gab ihm ein gutes Gefühl. Vielleicht war das der Sinn, nachdem er in den vergangenen Tagen gesucht hatte. Auf seinem letzten Weg jemand anderem zu helfen, damit dieser seinen Weg änderte. Er würde nie erfahren, ob er etwas bewirkt hatte.
Es war ein angenehmer Zufall gewesen, dass sie sich hier ein zweites Mal über den Weg gelaufen waren. Seit seiner Diagnose hatte er mit niemandem darüber geredet. Es Tim zu erzählen hatte ihn erleichtert und ihm ein wenig seine Angst genommen. Auch Frau Nolte, die alte Frau im Sprechzimmer, hatte sehr verständnisvoll gewirkt. Das Gespräch mit ihr war angenehm gewesen. Ohne Vorwürfe, ohne Zeitdruck oder Smalltalk.
Er musste an seine Eltern denken. Hätten sie vielleicht auch so reagiert, wenn er es ihnen doch selbst gesagt hätte? Wann seine Mutter wohl den Brief fand? Hoffentlich erlitt sie davon keinen Herzinfarkt, das wäre furchtbar. Sein Vater hätte alleine keine Chance, der bekam sein Leben ohne seine Frau nicht auf die Reihe. Genau genommen wusste er nach all den Jahren in dem Haus bis heute nicht einmal, wo seine Socken zu finden waren. Beim Gedanken daran, dass seinen Eltern wegen ihm etwas zustoßen könnte, spannte sich Michas ganzer Körper an.
Er spürte, als sich seine Hände verkrampften, dass seine rechte Hand etwas umklammerte. Als er hinab sah, bemerkte er, dass er immer noch Tims silberne Münze in der Hand hielt. Er hatte vergessen, sie ihm zurückzugeben, nachdem er sie in Augenschein genommen hatte. Auf beiden Seiten waren Menschen im Profil eingraviert. Bei der einen Seite vermutete er, dass es sich um einen deutlich jüngeren Tim handelte. Dann musste das auf der anderen Seite seine Frau sein. Im Profil konnte Micha nicht genug erkennen, um sagen zu können, ob sie eine hübsche Frau gewesen war. Es musste ein tolles Gefühl sein, einen Menschen so sehr zu lieben.
Am Rand der Münze stand ein Datum und in feinen, winzigen Buchstaben war „T.F. & H.F.“ eingraviert. Tim und H. Fischer. Wofür das H wohl stand? Er spürte ein wenig Neid gegenüber Tim, für die vielen Jahre, die er gehabt hatte und vielleicht noch haben würde. Neid auf all das, was Tim mit seiner Frau erlebt hatte. Ob sie sich wohl Kinder gewünscht hatten? Vermutlich gab es keine, sonst hätte Tim sicher noch mehr Gründe gehabt, weiterzuleben, auch nach dem Tod seiner Frau. Er wirkte nicht wie der Typ, der seine Kinder im Stich ließ. Er hatte nur sehr unglücklich gewirkt und von Trauer und Schlafmangel zermürbt. Hoffentlich änderte er seinen Plan noch.
Micha gab sich alle Mühe, den immer wieder aufkommenden Hustenreiz zu unterdrücken. Mittlerweile brannten seine Lungen bei jedem einzelnen Atemzug wie Feuer. Gut, dass er heute einen Termin bekommen hatte und nicht erst in ein paar Tagen. Möglicherweise hätte er dann schon nicht mehr die Kraft dafür gehabt. Die Kraft für das, was jetzt zu tun war.
Er raffte sich auf, legte die Münze auf einen Stuhl neben sich, stand auf und ging zur schwarzen Tür am Ende des Zimmers. Zuerst legte er die Hand auf die Klinke und spürte das kalte Metall. Er drückte sie langsam herunter und öffnete den Durchgang zu einem kleinen, von einer Lampe an der Decke schwach mit orangem Licht ausgeleuchteten Raum. Die Einrichtung nahm er nur schemenhaft wahr. Das weiße Licht des Wartezimmers bildete zur Dunkelheit dieses Raumes einen starken Kontrast. Als er eintrat fiel die Tür hinter ihm von alleine ins Schloss. Sein Herz begann wieder schneller zu pochen. Ein neuer Hustenanfall brach sich Bahn und zwang Micha für einen kurzen Moment in die Knie, doch dieses Mal ging es schnell vorbei. Als er sich wieder aufrichtete, hatten sich seine Augen gut genug an das Licht gewöhnt, dass er die Einrichtung des Raumes genauer erkennen konnte. An den Wänden hingen große Leinwände, größer als die im Wartezimmer, die verschiedene Landschaftsaufnahmen zeigten. An einer Zimmerseite konnte Micha Bilder vom Grand Canyon erkennen, an dessen Rand war er letztes Jahr noch selbst gestanden. Die anderen Wände waren mit Strand- und Dschungelphotos behangen. In der Mitte des Raumes stand ein weißer, gepolsterter Stuhl mit breiten Armlehnen. Auf der rechten Seite waren am Ende der Armlehne zwei kleine Knöpfe angebracht, genau wie es Frau Nolte ihm beschrieben hatte. Micha atmete tief durch. Der Gedanke, dass er gleich sterben würde, war so unwirklich, so schwer zu verstehen. Ein Knopfdruck und er setzte seinem Leben ein Ende. In der Schule hatte man ihnen in Geschichte von Piloten erzählt, die im Krieg Kampfflugzeuge geflogen hatten, daran konnte sich Micha noch gut erinnern. Hatte er nicht sogar ein Referat darüber gehalten? Diese Piloten hatten ebenfalls kleine Knöpfe gehabt, um Raketen oder Bomben abzufeuern. Auch sie hatten per Knopfdruck über Leben und Tod entschieden, genau wie er es gleich tun würde. Nur war es bei ihnen nicht darum gegangen, über ihr eigenes Leben zu entscheiden, sondern über das irgendwelcher anonymer Opfer. So ähnlich und doch so unterschiedlich. Was es wohl für ein Gefühl gewesen war, etwas so furchtbares per Knopfdruck zu tun? Wenigstens hatte er einen guten Grund für das was er tat und es kam niemand anderer dabei zu Schaden.
Micha setzte sich hin und krempelte seine Hosenbeine ein Stück hoch, genau wie Frau Nolte es ihm erklärt hatte. Dann lehnte er sich in dem Sessel zurück. Der weiße Bezug schien aus einer Art Fell zu sein, er war sehr weich und bequem. Er ließ seine rechte Hand über den beiden Knöpfen schweben, nur wenige Zentimeter davon entfernt, die letzte Entscheidung seines Lebens zu treffen.
Den ganzen Tag über hatte Micha Angst vor diesem Moment gehabt. Angst davor, dass er es nicht schaffen würde, Angst zu versagen. Selbst bei dem Letzten was er auf Erden tun wollte, bei der selbstbestimmten Wahl, seinem Leben ein Ende zu setzen, nicht seinen Erwartungen gerecht zu werden. Frau Nolte hatte nur genickt, als er ihr das gesagt hatte und ihn mit ihrem von Falten durchzogenen Gesicht ernst angesehen.
„Sie müssen hier niemandem etwas beweisen“, hatte sie gesagt. „Das ist keine Prüfung, keiner hat Erwartungen, die sie erfüllen müssen.“
Doch was ihm tatsächlich Ruhe gebracht hatte, war das Gespräch mit Tim gewesen. Zu sehen, wie er auf die Nachricht reagierte, dass Micha Krebs hatte, und zu hören, aus was für banaleren Gründen jemand das Bedürfnis haben konnte, zu sterben. Und weil er das Gefühl hatte, Tim geholfen zu haben. Vielleicht hatte er es geschafft, seine Perspektive ein Stück gerade zu rücken. Egal wie schlimm der Verlust für Tim war, er war gesund und konnte für den Rest seiner Tage das Andenken an seine Frau wahren, ohne dass er deswegen selbst seine restliche Zeit auf Erden wegschmeißen musste.
Micha ließ seine Hand noch immer in der Luft über den zwei Knöpfen. Alles in allem war es doch ein guter Tag gewesen. Besser als erwartet. Besser, als es sich zwischendurch angefühlt hatte. Er musste an seine Eltern denken. Hoffentlich würden sie es gut verkraften, was mit ihrem einzigen Sohn geschehen war. Er hatte gehört, wenn jemand starb, bekam man von einem Androiden einen schwarzen Briefumschlag mit der Todesnachricht überbracht. Das war bestimmt ein Mythos. Einer von vielen.
Er betrachtete die Knöpfe. Einer von ihnen war grün, der andere rot. Langsam, mit ganz vorsichtigen Bewegungen, um keinen weiteren Hustenanfall zu provozieren setzte sich Micha aufrecht hin, legte seine Arme flach auf die Lehnen und atmete tief durch. Es wurde Zeit zu springen. Wie sich wohl dieses Mal das Meer anfühlen würde, wenn er durch die Oberfläche brach?
Beim Gedanken an die Sommer seiner Jugend lächelte er.
Er hielt den Atem an und ließ den Zeigefinger seiner rechten Hand langsam aber bestimmt auf den kleinen, roten Knopf sinken.

Dem Ende entgegen (9)

Einen wunderschönen guten Tag,

nun beginnt das Finale der Geschichte.
Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen wird.
Hier kommt Teil 9 von 11 der Erzählung „Dem Ende entgegen“,
der bisher mit Abstand längste Teil.

Viele Grüße,
Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1 – 9

Kapitel 9

Das Bild hing schief. Ausgerechnet das fiel ihm hier als Erstes auf.
Tim hatte sich auf einem der Stühle im Wartezimmer der Praxis niedergelassen. An der Wand, die ihm nun gegenüber lag, hing eine weiße Leinwand, auf der ein großes schwarzes Reckteck abgebildet war. In diesem Rechteck waren vier kleine weiße Kreise vermutlich willkürlich angeordnet. Zumindest konnte Tim kein Muster und keine Regelmäßigkeit darin erkennen. Helena hätte ihm sicher erklären können, wer das Original dieses Bilds gemalt hatte, wie viele Nachbildungen es davon gab und was der Künstler mit dieser Anordnung ausdrücken wollte. Es war ihr größtes Hobby gewesen, sich mit Kunst zu beschäftigen, Ausstellungen zu betrachten und Bilder zu analysieren. Oft genug hatte sie ihn mit ihrer Leidenschaft für die Kunst genervt. Ihn überzeugt, mit ihr in die Ausstellungen zu gehen und sich ihre Erklärungen zu jedem einzelnen Bild anzuhören. Jetzt vermisste er ihre Stimme und ihre Anwesenheit mehr als alles andere. Er hätte alles gegeben, um sie hier zu haben und sich von ihr erzählen zu lassen, warum auf dem Bild ausgerechnet ein Rechteck war und ob es nun für Liebe, Leidenschaft, Tod oder den Verfall in der Welt stand. Wenn sie nur hier gewesen wäre, bestimmt hätten sie ihre Beziehung neu beleben können. Dieses spezielle Bild hätte er sicherlich nie zu Gesicht bekommen, wenn sie tatsächlich noch da gewesen wäre, aber es gab so viele Bilder und Museen und Vernissagen auf die sie gehen könnten, es gab so viel zu sehen.
Er hatte wieder begonnen, mit der silbernen Münze zu spielen. Dieses Mal nicht, weil er seine Aufregung unterdrücken wollte, denn er fühlte sich im Augenblick entspannter, als an irgendeinem Tag der letzten Wochen. Er hatte die Münze hervorgeholt, um sich die Zeit zu vertreiben. Bisher wartete er zwar erst wenige Minuten, es war nicht einmal fünf nach Acht, doch die Computerstimme am Telefon hatte ihn schon darauf vorbereitet, dass seine Wartezeit möglicherweise etwas länger sein würde. Es war ein eigenartiges Telefonat gewesen. Zuerst musste man wählen, ob man aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen einen Termin wollte, dann wurde einem ein möglicher Termin genannt und zum Schluss war der Hinweis gekommen, dass es eventuell zu längeren Wartezeiten kommen konnte. Warum gaben sie ihm dann nicht gleich einen späteren Termin? Vielleicht ein Programmierfehler in dem Algorithmus, der die Terminvergabe regelte und irgendein Genie hatte, statt den Fehler zu reparieren, diese Ansage eingebaut.
Die linke der beiden Türen am Ende des Zimmers öffnete sich in diesem Moment und riss Tim aus seinen Gedanken. Ein Mann trat in das Wartezimmer. Als Micha ihn sah, zog er überrascht die Augenbrauen hoch.
Es war der junge Mann aus der U-Bahn, der ihm nach seinem Sturz wieder aufgeholfen hatte. Die Haut um seine Augen herum war gerötet, wahrscheinlich hatte er geweint. An seinem Kinn und auf seinem T-Shirt waren Flecken, die nach getrocknetem Blut aussahen. Hinter ihm schloss sich die weiße Tür wieder. Er blickte Tim an und ein gequältes Lächeln erhellte kurz sein müde und kaputt wirkendes Gesicht. Mit einer kurzen Kopfbewegung grüßte er und ließ sich dann auf einem Stuhl schräg gegenüber von Tim nieder. Die Stille, die daraufhin eintrat, war Tim sehr unangenehm. Er hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen, um sie nicht noch länger werden zu lassen.
„Ich habe Sie doch heute schon einmal getroffen“, sagte er dann halblaut und sah dem jungen Mann in die Augen. „Oder verwechsle ich sie?“
Sein Gegenüber schien kurz zu zögern. Dann nickte er.
„Ich heiße Micha“, sagte er und wies mit einer Geste in den leeren, strahlend weißen Raum des Wartezimmers. „Wo wir schon beide hier sind, denke ich, dass wir uns auch duzen können.“
„Ja, das stimmt wohl. Kaum zu glauben, dass wir uns an einem Tag zweimal treffen. Und dann auch noch ausgerechnet hier.“
Micha nickte einfach nur. Wieder breitete sich diese Stille aus, die gewaltig und kaum zu ertragen mitten im Raum zwischen ihnen stand. Michas Augen sahen traurig aus und müde. Vielleicht sollte er ihn in Ruhe lassen, andererseits hatte er im Augenblick durchaus das Bedürfnis, sich mit jemandem zu unterhalten. Dieses sterile, helle Wartezimmer hatte nicht gerade eine entspannende Wirkung auf ihn.
„Wieso bist du hier?“
Es war die erste Frage, die Tim in den Kopf kam, aber schon in dem Moment als er sie ausgesprochen hatte, kam er sich sehr taktlos vor. Man fragte doch niemanden den man nicht kannte, warum er sterben wollte. Eigentlich fragte man das überhaupt niemanden. Auch Micha sah in zweifelnd an, er schien zu überlegen, was er darauf antworten sollte.
„Ich meine…“, versuchte Tim ein wenig zurück zu rudern. „…wozu du hier bist ist mir schon klar. Ich will dir auch nicht zu nahe treten. Aber du bist noch so jung und da habe ich mich gefragt, wie es wohl dazu kommt… Verstehst du, was ich meine?“
Er versuchte, eine entschuldigende Miene aufzusetzen. Noch immer spielte seine Hand nervös mit der Münze. Micha starrte noch ein paar Sekunden ins Leere und überlegte.
„Vor drei Wochen habe ich erfahren, dass ich Krebs habe“, sagte er dann leise und tonlos, ohne Tim anzusehen. „Ich habe ständig Schmerzen, huste Blut und habe keine Chancen auf Heilung. In knapp zwei Monaten wäre es eh vorbei.“
„Das tut mir leid“, sagte Tim und es stimmte. Auch wenn er in den letzten Wochen so gut wie kein Interesse am Leben anderer Menschen gehabt hatte, berührte es ihn, einen so jungen Menschen leiden zu sehen. Krankheit sollte den Älteren vorbehalten sein, dachte er.
„Und du?“ Micha schien ein wenig seine Fassung wiedergewonnen zu haben. „Was ist es bei dir?“
„Ich bin nicht krank. Zumindest soweit ich weiß.“ Tim überkam das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
„Aber wieso bist du dann hier?“
„Meine Frau…“ Er zögerte einen Moment. Seit Helenas Tod hatte er mit niemandem darüber geredet. Wieso sollte er es mit diesem jungen Mann tun, den er nicht mal kannte? Möglicherweise war es aber auch eine gute Idee, schließlich hatte er vor keinem seiner Bekannten und Freunde geschafft, es auszusprechen. Er setzte wieder an. „Sie ist vor drei Wochen bei einem Autounfall gestorben.“
„Verstehe.“ In Michas ernstem Blick konnte Tim nichts von diesem Verständnis erkennen. „Und weiter?“
Tim fand die Frage sehr unhöflich, aber schließlich war er es gewesen, der mit dem Frage-Antwort-Spiel begonnen hatte, auch wenn es ihm im Augenblick nicht besonders angenehm war.
„Seitdem sie nicht mehr da ist, hat das Leben für mich einfach keinen Sinn mehr. Das Essen schmeckt nicht mehr. Die Arbeit macht keinen Spaß mehr. Nichts interessiert mich. Ich…“
Ein lauter Hustenanfall von Micha unterbrach ihn. Der hielt sich die Hand vor den Mund, während der Husten ihn erbeben ließ. In seinem Blick und seinen Bewegungen konnte Tim nur zu gut die Schmerzen sehen, die durch seinen ganzen Körper zuckten. Als er die Hand weg zog, konnte Tim auf der Handfläche ein paar kleine Blutstropfen erkennen. Nach dem gequälten Ausdruck in Michas Gesicht zu urteilen, musste er schreckliche Schmerzen haben.
Eine gefühlte Ewigkeit saß er einfach nur da, atmete flach und bei jedem Ausatmen konnte Tim ein leises Fiepen seiner Lungen hören. Er spürte, dass es besser war, jetzt nichts zu sagen.
„Unsinn“, sagte Micha dann leise. Seine Stimme klang rauer als vor dem Husten und noch leiser.
„Was meinst du?“
„Das ist doch völliger Unsinn.“ Sein Tonfall klang, als spuckte er Tim die Worte vor die Füße. Er setzte sich auf und versuchte, mehr Luft in seine Lungen zu bekommen. „Das was du gesagt hast. Ist doch klar, dass es schlimm ist, wenn deine Frau stirbt, aber deswegen musst du doch nicht auch sterben. Du bist doch gesund.“
Was bildete sich dieser Micha eigentlich ein? Als ob er sich vorstellen könnte, wie sich Tim in diesem Augenblick fühlte. Wie schlimm es war, wenn einem der wichtigste Mensch im Leben genommen wurde. Klar, er war jung und machte gerade eine schlimme Zeit durch, aber das gab ihm doch kein Recht, Tims Entscheidung zu Beurteilen. Zu bewerten, ob er hier sein sollte oder nicht.
„Das verstehst du nicht.“
Er versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Dem Jungen ging es schlecht genug, er musste nicht mit ihm streiten.
„Dann erkläre es mir doch.“
„Ich habe mit Helena so viele schöne Jahre verbracht, ich möchte und kann einfach nicht ohne sie leben. Ohne mit ihr sprechen zu können, ohne zu hören, wie ihr Tag war. Mein ganzes Leben interessiert mich nicht mehr. Nichts um mich herum. Ich bin Professor hier an der Uni, und es interessiert mich einfach nicht mehr, was ich den Studenten erzähle oder was sie dazu denken.“ Alles, was ihm in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen war, sprudelte hervor, egal ob es sein Gegenüber wirklich hören wollte. Ganz egal. „Keiner in meiner Arbeit interessiert sich wirklich für mich. Meine Leistungen, meine Bücher, meine Forschungsergebnisse, klar. Aber ich als Person falle dort keinem auf. Nicht einer von denen hat gemerkt, dass es mir schlecht geht. Mein Leben macht mir einfach keinen Spaß mehr. Es hat keinen Sinn mehr, es ist farblos geworden. Du bist wahrscheinlich zu jung um all das zu verstehen. Vielleicht muss man dafür auch an der Uni gewesen sein, um den Wert von Arbeit zu verstehen. Was gibt es denn da zu lächeln? Machst du mich über dich lustig?“
Micha hob beschwichtigend die Hände. Tatsächlich hatte sich bei Tims letzten Worten ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht geschlichen.
„Der Wert von Arbeit“, sagte er dann. „Die Phrasen sind doch immer noch die gleichen. Alles nur Gerede. Ich hab auch mal zu dieser ganzen Welt gehört für kurze Zeit. Das Studieren in Höchstgeschwindigkeit, möglichst viel Lernen in möglichst wenig Semestern. Alles auf Leistung gepolt. Ich fand es furchtbar. Immer wieder kriegt man gesagt, wie wenige Arbeitsplätze es für die paar hundert Studenten gibt, der Druck wird immer weiter erhöht. In der Uni tut doch jeder so, als gäbe es nichts Wichtigeres als Arbeit und Leistung. Ich bin dann nach dem ersten Semester ausgesiebt worden. Mit einem Durchschnitt von 1,3 habe ich zu den schlechtesten gehört und mir war überhaupt nicht klar, wie es weitergehen sollte. Dass man auch anders leben konnte. Also erzähl mir nicht, dass ich den Wert von Arbeit nicht kenne.“ Seine Stimme wurde wieder fester, die zittrige, schwache Note verschwand. „Aber wenn dir dein Job nicht mehr gefällt, dann hör doch einfach auf damit. Du musst nicht arbeiten, genauso wenig wie ich. Ich habe vielleicht kein so bedeutsames Leben gehabt wie ihr Akademiker, wie die Kommilitonen, die es geschafft haben, aber schöner ist es allemal. Ich bin hier, weil ich nicht dahinsiechen will, weil die Schmerzen unerträglich werden würden, lange bevor der Tod eintritt und ich das nicht erleben will, aber du…“
Er zeigte auf Tim, der ihn mit ernstem Blick betrachtete. „Du hast doch die Schmerzen nur im Kopf. Weil du jemanden verloren hast. Die werden irgendwann schwächer. Wenn du willst, setz dich für den Rest deines Lebens irgendwo an einen Strand und denk an sie und die schönen Jahre, von denen du gesprochen hast. Aber deswegen sterben zu wollen ist Unsinn.“
Tim saß einige Minuten schweigend da. Er hatte nicht erwartet, so einen Vortrag zu hören, noch dazu von einem so jungen Menschen. Natürlich konnte sich Micha nicht vorstellen wie es war, jemanden dem man so sehr liebt zu verlieren, doch dass er mit dem was er gesagt hatte, ein Stück weit im Recht war, konnte Tim auch nicht völlig bestreiten. Es hatte ihn überrascht, dass Micha mal an der Uni gewesen war. Er sah nicht im Mindesten aus wie einer von ihnen. Tim fiel auf, dass er sich nie wirklich Gedanken gemacht hatte, was aus den Studenten wurde, die es nicht bis zum Abschluss schafften, die das geforderte Leistungspensum nicht bringen konnten. Auch er hatte sich nie um die anderen gesorgt.
Ein paar Minuten saßen sie beide schweigend da. Tim wusste nicht, was er antworten sollte. Ein paar Mal hob er den Kopf, setzte an um zu sprechen, doch jedes Mal beließ er es beim Schweigen und betrachtete die Silbermünze in seiner Hand. Betrachtete Helenas Profil darauf. Vielleicht war es besser das Thema zu wechseln, er wollte sich nicht weiter rechtfertigen.
„Wie läuft der Termin da drin denn eigentlich ab?“ Obwohl die Gefühle in ihm gerade sehr widersprüchlich waren und ihn Michas Ansprache sehr aufgewühlt hatte, war Tims Ton ganz normal und sachlich. Eine Fähigkeit, die aufgrund unzähliger unpassender, teilweise auch extrem unhöflicher Zwischenfragen bei den Vorlesungen und Seminaren, die er gehalten hatte, fest zu seinem Repertoire gehörte.
Micha wirkte, als wäre er froh über den Themenwechsel.
„Zuerst ging es darum“, begann er zu erklären, „warum ich den Termin ausgemacht habe. Ich sollte ja möglichst pünktlich sein, wahrscheinlich damit genug Zeit bleibt. Ich habe der Frau in dem Büro von meiner Krankheit erzählt und dass ich sehr lange über meine Entscheidung nachgedacht habe.“
Eine Frau? Wahrscheinlich hatte dieser Jungspund einfach nur einen Androiden mit einer echten Frau verwechselt. Es gab keine Arbeitsplätze mehr abseits der Unis, das wusste doch jeder. So erfahren wie er tat, war sein Gegenüber dann wohl doch nicht.
„Wir haben uns darüber unterhalten, dass mein Entschluss fest steht und dann hat sie gesagt, ich bekomme noch etwas Zeit zum überlegen und wenn ich mich endgültig entschieden habe, soll ich einfach durch die schwarze Tür gehen.“
Beide sahen sie zu den beiden Türen am Ende des Raumes. Links die weiße, durch die Micha den Raum betreten hatte, und rechts die schwarze. Das hatte es also damit auf sich, dachte Tim. Eine gute Idee, den Leuten noch ein paar letzte Minuten allein zu geben.
„Dann hat sie mir noch erklärt, wie der Stuhl funktioniert.“
„Der Stuhl?“
Micha hatte ihn aus seinen Gedanken zu den beiden Türen gerissen, er war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Was für ein Stuhl?
„Das lässt du dir am besten von ihr selbst erklären, ich glaube nicht, dass ich das halbwegs korrekt wiedergeben könnte.“
Tim nickte. Er hatte zwar in den Geschichtsbüchern mal von elektrischen Stühlen gelesen, aber sowas konnte hier nicht eingesetzt werden. Oder doch? Waren die Dinger nicht irgendwann verboten worden? Auf der Homepage des PSH hatte er keine Erklärung gefunden, wie die letzten Minuten hier abliefen. Wieder unterbrach Michas Stimme seine Gedanken.
„Kann ich sie mir mal angucken?“
Er deutete auf Tim, der sah ihn nur irritiert an.
„Die Münze, mit der du die ganze Zeit spielst. Vorhin in der Bahn auch schon. Kann ich sie mir mal angucken?“
Er reichte sie ihm und Micha betrachtete sie in aller Ruhe.
Doch Tim war jetzt neugierig geworden. Sein Gegenüber hatte seinen Forscherdrang geweckt.
„War es schwer, klarzukommen? Nachdem du von der Uni ausgeschlossen wurdest, meine ich.“
Nie zuvor hatte er mit jemandem gesprochen, der beide Seiten erlebt hatte. Warum war er nie auf die Idee gekommen, solche Menschen in seine Studien mit einzubeziehen?
Micha blickte auf.
„Am Anfang schon. Ich fiel in ein ziemliches Loch, aber mit der Zeit hab ich gelernt, meine Tage zu strukturieren und die Zeit zu genießen. Dann war es wirklich schön. Schöner als…“
Die weiße Tür am Ende des Zimmers öffnete sich und eine Stimme rief: „Tim Fischer“.
Tims Knie wurden weich. Nun kam doch noch die Nervosität in ihm durch. Er erhob sich und überlegte, ob er Micha die Hand geben sollte, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen sagte er nur in Michas Richtung:
„Es war angenehm, mich mit dir zu unterhalten. Ich wünsche dir alles Gute. Und…“ Er zuckte unsicher mit den Schultern. „Also… Ich meine… Viel Glück.“
In Michas Augen konnte er sehen, dass er ihn richtig verstanden hatte. Er wollte jetzt nichts über den Tod sagen oder irgendwelche pathetischen Dinge über ein Leben danach. Micha lächelte und das Lächeln kam sogar bei seinen müden, vom Kranksein und dem, was vor ihm lag, erschöpften Augen an. Auch wenn Tim nicht begeistert über die Ansprache war, die Micha ihm gehalten hatte, war er doch der erste Mensch überhaupt gewesen, mit dem er über diese Sachen geredet hatte und allein dafür war er schon dankbar.
„Dir auch viel Glück“, sagte Micha. „Tut mir leid, was mit deiner Frau passiert ist.“
Tim sah ihm noch einen Moment in die Augen. Er hätte gerne noch irgendetwas ermutigendes, nettes gesagt, aber ihm fehlten die richtigen Worte. Dann drehte er sich weg und trat durch die weiße Tür in das hell erleuchtete, kleine Büro.

Dem Ende entgegen (5)

Hallo zusammen,

weil’s momentan so schön rund läuft, kommt hier der fünfte Teil der Geschichte. Wir nähern uns der Halbzeit!
Bezüglich der Gattungsfindung habe ich zumindest bei Wikipedia ein gutes Zitat über Novellen gefunden:

„Als Gattung lässt sie sich nur schwer definieren und oft nur in Bezug auf andere Literaturarten abgrenzen. Hinsichtlich des Umfangs bemerkte Hugo Aust, die Novelle habe oft eine mittlere Länge, was sich darin zeigt, dass sie in einem Zug zu lesen sei.“

Ob das wohl das Richtige ist? Ich habe keine Ahnung…

Fühlt euch gegrüßt,
Sir Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1 – 5

Kapitel 5

Tim hatte sich auf eine Bank sinken lassen und versuchte, den Schmerz in seinem Rücken und seiner Hüfte zu ignorieren. Was für ein miese Idee es gewesen war, mit der U-Bahn zu fahren. Er wusste nicht genau, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatte, aber er bereute sie im Moment zutiefst. Als er das letzte Mal in eine U-Bahn gestiegen war, konnten die Dinger noch nicht halb so schnell gefahren sein. Langsam drehte er die silberne Münze in seiner Hand, wegen der ihm nun sein Rücken so weh tat. Was hatte er auch während der Bahn-Fahrt mit ihr spielen müssen? Die Münze zeigte auf der einen Seite sein Profil und auf der anderen das von Helena. Am äußeren Rand waren ihre Initialen und das Datum ihrer Hochzeit eingraviert.
Es war sein Geschenk für Helena gewesen, an ihrem ersten Hochzeitstag. Am selben Tag an dem sie ihm die Taschenuhr geschenkt hatte. An dem Abend als sie gegangen war, hatte sie all ihre persönlichen Gegenstände aus der Wohnung mitgenommen, ihren Schmuck und ihre Klamotten, alles. Nur die Münze lag am nächsten Morgen noch in der Küche auf der Arbeitsplatte. Einzeln und trostlos, ohne eine Notiz und ohne eine Spur von ihr. An diesem elenden Morgen. Seither trug er sie immer bei sich und spielte immer dann mit ihr, wenn er besonders nervös war.
Auch die Situation in der U-Bahn war ihm unangenehm gewesen. Die hübsche blonde Frau neben ihm, die so penetrant laut Musik gehört hatte. Die ganzen Leute die ein- und ausgestiegen waren, mal dicht an ihn gedrängt, mal weit entfernt. Manche allein unterwegs, andere in kleinen Gruppen, aber alle so vollkommen anders als er, so fröhlich und vor allem so unglaublich nah. Ihre Stimmen, ihr Geruch. Er hatte sich sehr unwohl gefühlt. Warum war er überhaupt in die U-Bahn gestiegen? Was hatte er sich beweisen wollen? Möglicherweise eine Art Nähe zum „einfacheren“ Volk. Vielleicht hatte er versucht, wenigstens ein Stück zu sein wie sie, die er in den letzten Wochen so oft beneidet hatte. Was für ein lächerlicher Gedanke. Er war nicht wie sie, und würde es auch nie sein. Die Akademiker blieben unter sich und der Rest der Menschen wollte mit ihnen nichts zu tun haben. Tief in Gedanken darüber versunken, hatte er vergessen, sich auf die Münze zu konzentrieren, nur deshalb war sie ihm aus der Hand gerutscht. Was für ein Glück, dass ihm der junge Mann geholfen hatte, nach seiner idiotischen Bauchlandung.
Eigentlich war der Plan gewesen, vom Restaurant bis nach Hause mit der U-Bahn zu fahren, aber er hatte sich in der Bahn zu sehr vor sich selbst und dem jungen Mann geschämt, als dass er sich einfach wieder hätte hinsetzen können und so tun, als wäre nichts gewesen. Es war nicht mehr weit, das bisschen konnte er jetzt auch laufen, auch mit schmerzender Hüfte. Ein bisschen frische Luft würde ihm gut tun.
Früher hätte er sich nach so einem Erlebnis sein Handy geschnappt, Helena von der ganzen Sache berichtet und gemeinsam mit ihr darüber gelacht. Sie hätte ihm von ihrem Tag erzählt und davon, was sie heute noch vorhatte. Wie sie gemeinsam den Abend verbringen könnten. Solche Sachen hatten sie in den letzten Monaten ihrer Beziehung vernachlässigt, auch wenn es ihm währenddessen nie wirklich aufgefallen war. Doch in den letzten Wochen hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Zeit zu überlegen, was zwischen ihnen schief gelaufen war. Er stand von der Bank auf und machte sich auf den Weg nach Hause. Noch aus seinen Jugendjahren kannte er sich hier in der Gegend bestens aus, auch wenn er schon lange nicht mehr zu Fuß unterwegs gewesen war. Zeit war schließlich Geld.
Seine Taschenuhr verriet ihm, dass es jetzt Viertel vor Drei war. Punkt 15.00 Uhr hätte er eigentlich ein Treffen der Ausbildungskommission gehabt, und um 17.30 Uhr ein Meeting mit zwei vielversprechenden Doktoranden, aber die Termine hatte er beide schon vor Tagen abgesagt. Seine offizielle Begründung war gewesen, dass er noch an dem Paper für die Konferenz Anfang Januar schreiben musste. Theoretisch stimmte das, er hatte sogar schon ein Thema für das Paper gehabt, aber da er nicht vorhatte die Konferenz noch zu erleben, spielte es keine Rolle, ob seine Stellungnahme zum „Einfluss der neuesten Strömungen in der Datenspeicherung auf die Wirtschaftlichkeit der universitären Lehre“ rechtzeitig fertig wurde oder nicht.
Beim Gehen tat die Hüfte weniger weh, als sie es eben noch beim Sitzen auf der kalten Bank getan hatte, dennoch humpelte er leicht.
Langsam füllten sich die Straßen wieder mehr mit Passanten, die Mittagszeit war vorbei und jetzt gingen die Leute vermutlich zum nächsten Punkt in der Tagesordnung über. Oder sie gingen einfach von einem Lokal ins Nächste, was wusste er schon, dachte Tim schulterzuckend. Bloß weil er sie aus der Ferne beneidete, und bei seinen Studien manche ihrer Verhaltensweisen untersucht hatte, bedeutete das nicht, dass er verstand, wie die Durchschnittsbürger ihren Alltag verbrachten, und wie sich das für sie anfühlte.
Tim beobachtete die Leute um ihn herum, während er gemächlichen Schrittes nach Hause ging.
Auf der anderen Straßenseite erkannte eine kleine Gruppe von Studenten, die im letzten Semester gemeinsam mehrere Seminare bei ihm besucht hatten. Sie liefen in die entgegengesetzte Richtung. Die beiden jungen Männer waren vielleicht Mitte 20 und hatten beide lange Haare. Der eine war groß und so dünn, dass er wahrscheinlich nur knapp an der Grenze zur Magersucht lag. Im Gegensatz dazu war sein bester Freund recht kräftig. Neben seinem mageren Kommilitonen hatte er immer regelrecht fett gewirkt. Der dünne von beiden hieß Harald, wenn sich Tim richtig erinnerte, und der etwas korpulentere hörte auf den Namen Timotheus, wurde aber von den meisten Theo gerufen. Die beiden wurden von einer jungen Frau begleitet, an die sich Tim noch allzu gut erinnerte. Sie hieß Anna und war in den Kursen immer sehr aktiv und wissbegierig gewesen. Eine hübsche Frau mit einem glatten, fein geschnittenen Gesicht, einem schlanken, durchtrainierten Körper, den sie auch gerne in knappen, eng anliegenden Klamotten zur Schau stellte, und einem beeindruckend flinken Verstand. Ihre kurzen blonden Haare standen auch heute wieder in alle Richtungen vom Kopf ab. Tim hatte sie attraktiv gefunden, sicherlich. Sehr attraktiv, aber nicht mehr. Doch irgendwann im Laufe des Semesters hatte sie sich ein bisschen in ihn verguckt. Von einem Tag auf den anderen fing sie an, ihm kleine Zettelchen mit Liebesgedichten zu schreiben und zuzustecken. Nach den Sitzungen war sie immer noch etwas länger geblieben und hatte versucht mit ihm zu flirten. Ursprünglich hatte er vorgehabt, sie als eine seiner Doktorandinnen aufzunehmen, aber ihre immer deutlicheren Annäherungsversuche waren ihm zunehmend unangenehm geworden. Eines Tages, als sie nach dem Seminar allein im Raum gewesen waren, hatte Anna versucht ihn zu küssen und ihm dabei auch noch an den Hintern gefasst. Das war der Tropfen gewesen, der für ihn das Fass zum überlaufen gebracht hatte. Es war notwendig gewesen, ihr Grenzen aufzuzeigen, und das hatte er auch mit deutlichen Worten getan. Mit wässrigen Augen und gekränktem Stolz im Blick war sie einige Minuten später aus dem Saal geeilt. Von da an war sie in keinem seiner Kurse mehr aufgetaucht und auch die beiden Jungs nicht. Inzwischen hatte sie sich wohl erholt. Zumindest sah es so aus. Sie und dieser Harald hielten Händchen. Da hatte der junge Mann sicher den Fang seines Lebens gemacht, dachte Tim und musste lächeln.
Im selben Augenblick, als Tim so dastand und sie lächelnd von der anderen Straßenseite aus beobachtete, sah Anna zufällig herüber. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick und Tim bildete sich ein, für eine Sekunde erneut verletzten Stolz in diesen schönen braunen Augen aufblitzen zu sehen. Stolz und etwas anderes, das er nicht einordnen konnte. Auf diese Entfernung musste es fast Einbildung sein, und doch spürte er ein flaues Gefühl im Magen. Ein Gefühl von Schuld, auch wenn er seiner Ansicht nach im Umgang mit der Studentin alles richtig gemacht hatte. Doch der Moment ging vorüber, Anna drehte sich zu ihrem Freund und ging weiter, ohne ein Zeichen, dass sie ihn gesehen hatte. Als hätte sie einfach durch ihn hindurchgeschaut.
Versunken in dieser Flut von Gedanken war Tim kurz stehen geblieben, doch jetzt trottete er weiter. Er fand es immer wieder aufs Neue befremdlich, dass er in einer so großen Stadt so oft Leute sah oder traf, die er kannte. Natürlich bewegte er sich normalerweise in erster Linie auf dem Campus, da war das abzusehen, aber auch in der Stadt selbst war es nicht anders. Selbst wenn er einmal im Jahrzehnt zu Fuß unterwegs war.
Als er eine Viertelstunde später sein Appartement erreichte, schwitzte er vor Anstrengung. Er spürte leichtes Seitenstechen von der ungewohnten sportlichen Betätigung und zu allem Überfluss schmerzten sein Rücken und seine Hüfte noch immer. Helena hätte jetzt bestimmt ein paar wunderbare Hausmittelchen parat gehabt. Kalte Umschläge oder so etwas.
Immer und immer wieder diese verdammten Gedanken an Helena, er wurde sie einfach nicht los. Sie verfolgten ihn, wohin er auch ging, was auch immer er tat. Von Morgens bis Abends. Selbst in seinen Träumen waren sie noch da. Er sah auf die Uhr. Zwanzig nach Drei. Nichteinmal mehr fünf Stunden, dann würde es vorbei sein, dachte er. Es wurde langsam aber sicher Zeit sich zu verabschieden.

Dem Ende entgegen (4)

Guten Morgen allerseits,

damit wieder ein bisschen Bewegung in den Blog kommt, hier Teil 4 der Geschichte. Da ich darauf hingewiesen wurde, dass der Begriff Kurzgeschichte für eine Geschichte mit 11 Kapiteln ein bisschen unpassend ist, und ich mir bei der Definition dessen, was eine Novelle ist, auch nicht sicher bin, muss ich mir noch überlegen, was in Zukunft die passende Bezeichnung dafür sein wird.
Ich hoffe es gefällt euch weiterhin,

Mit den herzlichsten Grüßen,
Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1 – 4

Kapitel 4

Zögernd und mit Tränen in den Augen ließ Micha den Telefonhörer sinken. Er hatte seiner Mutter nichts gesagt. Das Gespräch war wie immer gewesen, wie so viele, die sie in den letzten Jahren geführt hatten. Ein bisschen was übers Wetter, Mitteilungen, wer in der Verwandtschaft gerade was tat oder mit wem Streit hatte, ein kurzer Bericht darüber, dass es mit der Hüfte seines Vaters langsam wieder aufwärts ging, und dann noch die obligatorische Frage, wie es bei ihm denn eigentlich so lief. Einen kurzen Moment hatte er gestockt, sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn er es ihr sagte. Ihr sagte, was er vorhatte. Ein winziger Augenblick des Zögerns, doch der hatte gereicht um den ganzen Mut zunichte zu machen, den er sich für diesen Anruf zusammengekratzt hatte. Er hatte es einfach nicht fertig gebracht, ihre kleine heile Welt so zu zerstören. Es war feige, das wusste er, und es würde für sie wahrscheinlich viel schlimmer sein, wenn ihr im Nachhinein jemand anders diese Nachricht brachte, trotzdem hatte er sich nicht überwinden können. Nach ein paar kurzen Floskeln hatte er das Gespräch beendet und aufgelegt. Seine Hände zitterten und ihm war schlecht, doch wenigstens hatte der Hustenreiz wieder nachgelassen.
Sollte er sich nicht einfach zusammenreißen, nochmal anrufen und es hinter sich bringen? Mit einem flauen Gefühl im Magen streckte er die Hand aus, um zu wählen, ließ sie dann aber wieder sinken. Es war schon zu spät. Jetzt, wo sein innerer Schweinehund einmal gewonnen hatte, fehlte ihm die Selbstdisziplin, die Entscheidung noch zu ändern. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, dann legte er das Telefon aus der Hand.
„Feigling“, sagte er laut, weil niemand anderer da war, der jetzt die Wahrheit aussprechen konnte. Weil es niemandem außer ihm selbst auf der Welt gab, mit dem er sprechen wollte. Langsam stand er von seinem Küchenstuhl auf, lief ins Schlafzimmer und zog sich ohne zu duschen frische Klamotten an. Körperhygiene spielte jetzt keine übergeordnete Rolle mehr in seinem Leben. Eine dunkelblaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt, darüber ein schwarzer Wollpulli – die Klamotten passten wirklich prima zu seiner Stimmung der letzten Tage.
Während er sich dick einpackte, um der Kälte draußen standzuhalten, verabschiedete er sich in Gedanken von seiner Wohnung. Er würde nicht mehr herkommen, nie mehr. Sie konnte ruhig so unaufgeräumt bleiben, was interessierte es ihn schon, wie andere Menschen in Zukunft über seinen Ordnungssinn denken mochten. Er war schon zur Tür hinaus, da hielt er inne und lief noch einmal zurück. Neben dem Bett lag noch immer der Zettel aus der Klinik. Micha bückte sich und steckte ihn in die Hosentasche. Möglicherweise würde er den noch brauchen. Dann machte er sich auf den mühsamen Weg zur U-Bahn, für den er früher immer nur ein paar Minuten gebraucht hatte. Er wusste nicht was ihm mehr Energie geraubt hatte: Der Krebs oder die Tatsache, dass er jetzt wusste, dass er Krebs hatte. Dennoch musste er heute einfach noch etwas unternehmen. Auf den Zoo freute er sich schon richtig, vielleicht würde er dort auch sein schlechtes Gewissen wegen dem Telefonat mit seiner Mutter besser verdrängen können.
Die U-Bahn kam geräuschlos in den Bahnhof gefahren. Nur eine Handvoll Leute warteten hier, der abendliche Verkehr hatte noch nicht wieder angefangen. Die meisten Berliner saßen vermutlich irgendwo in einem Café oder schon in einer Kneipe, wenn sie heute überhaupt das Haus verließen. Micha stand mit den Händen in den Taschen da und fror trotz der scheinbar milden herbstlichen Temperaturen. Zumindest war von den Leuten um ihn herum niemand besonders dick angezogen, oder wirkte als würde er frieren. Als die Bahn hielt, stieg Micha ein und setzte sich in das nächste der langgezogenen Abteile. Die Türen schlossen sich und der Zug beschleunigte augenblicklich. Die mit Kunstfell gepolsterten Sitzbänke waren bequem und noch nicht zu sehr durchgesessen, nur farblich war dieser Zug nicht besonders gut geraten. Das Dunkelrot der Wände passte zwar zum dunklen Boden, aber das ausgeblichene Grün der Polster ließ den Zug alt und ein bisschen schimmlig wirken. Es war vermutlich ein älteres Modell. In diesem Abteil saßen nur zwei andere Leute. Eine junge blonde Frau las in einem zerfledderten Roman und wippte mit ihrem Fuß im Takt zur Musik, die aus ihren überdimensionierten Kopfhörern drang. Neben ihr saß ein Mann, den Micha auf Mitte 40 schätzte. Der Anzug, den er trug, fiel sofort ins Auge. Er war komplett schwarz und saß so perfekt, dass er maßgeschneidert sein musste. Das Material sah sehr teuer aus. Der Mann hatte kurze, schwarze Haare, zwischen denen allerdings schon die ersten grauen Strähnen zu erkennen waren. Sein Gesicht wirkte kantig, aber nicht unfreundlich. Die vielen Falten und tief eingegrabenen Augenringe ließen darauf schließen, dass er sich in seinem Leben nicht viel Ruhe gegönnt hatte. Micha war überrascht. Wenn er sich nicht irrte, saß er hier mit einem Professor oder irgendeinem anderen hohen Tier in einem Abteil, so etwas war ihm noch nie passiert. Auf jeden Fall musste es jemand sein, der in seinem Leben viel gearbeitet hatte. Micha hatte schon seit Jahren niemanden mehr gesehen, der so erschöpft aussah. Die meisten von ihnen nutzten nur die Taxis, vermutlich um nicht mit dem ungebildeten Pöbel in Berührung zu kommen. Doch irgendetwas passte nicht an diesem Mann. Ihm fehlte die typische Mischung von Stolz und Arroganz, die seinesgleichen normalerweise umgab. Er wirkte traurig, fast schon zerbrechlich. Seien Hände spielten nervös mit etwas silbernem. Bei genauerem Hinsehen erkannte Micha, dass es eine Münze war. Er drehte sie immer wieder in seiner Hand, ließ sie über seine Fingerknöchel wandern und danach eine Weile zwischen Daumen und Zeigefinger rotieren. Das wiederholte er wieder und wieder.
Während Micha noch überlegte, was es mit dieser Münze wohl auf sich haben konnte, nahm der Zug eine scharfe Kurve und dem Mann rutschte die Münze aus der Hand. Mit einem dumpfen Geräusch fiel sie zu Boden. Der Mann im Anzug hechtete ihr sofort hinterher, während sie über den Boden kullerte, als handele es sich um einen Gegenstand von unschätzbarem Wert. Doch der Zug war zu schnell für solche Manöver. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Die Frau mit den Kopfhörern sah kurz auf, widmete sich dann aber sofort wieder ihrem Roman ohne eine Miene zu verziehen. Micha sah die Münze vorbeirollen, griff zu und erwischte sie gerade noch rechtzeitig. In diesem Moment wurde der Zug langsamer, sie fuhren wohl wieder in einen Bahnhof ein. Während er noch einen kurzen Blick auf die Münze warf, stand Micha auf. Er musste sich am Geländer an der Decke festhalten, um nicht ebenfalls hinzufallen. Er streckte seine Hand aus und half dem Mann auf die Beine, dann gab er ihm seine silberne Münze zurück.
„Danke. Vielen Dank!“, sagte der Mann und lächelte dankbar. Micha nickte ihm einfach nur zu. Der Mann stand noch etwas wacklig auf den Beinen. Er wirkte verlegen und zerstreut. Während er sich nun ebenfalls mit einer Hand am Geländer festhielt, klopfte er sich mit der anderen den Staub von seinem Anzug, den er durch seine Bruchlandung aufgesammelt hatte. Als die Türen sich öffneten, stieg er sofort aus.
Micha nahm wieder Platz. Auf der Münze war das Profil einer Frau abgebildet gewesen, soviel hatte er gesehen. Gerne hätte er den Mann, der offensichtlich noch nie mit der U-Bahn gefahren war, gefragt, wer er war, und was es mit der Münze auf sich hatte, doch der Mann war zu schnell weg gewesen. Vielleicht war die Münze ein Erbstück, oder es war seine Freundin, Geliebte oder Ehefrau, die darauf abgebildet war. Er würde es nie erfahren.
Ihm wurde klar, dass er gerade das erste Mal seit Tagen nicht über die Diagnose, nicht über den Krebs nachgedacht hatte. Ihm kam der Gedanke, dass es wahrscheinlich nicht allzu klug gewesen war, sich die ganzen letzten Tage allein in seiner Wohnung zu verbarrikadieren. Zwar hätte es vermutlich nichts an seiner Entscheidung geändert und schon gar nicht an der Diagnose, aber der Sog des Selbstmitleids hätte ihn wohl weniger stark ergriffen, wenn er sich mehr unter Leute begeben hätte. Wenn er sich mit jemandem über das unterhalten hätte, was sich da in seinem Innersten zusammenbraute.
Am Bahnhof Zoo stieg Micha aus der Bahn und lief nach draußen, seine Gedanken schwankten zwischen seinem Selbstmitleid und Neugier, warum der Mann mit der Münze wohl so traurig ausgesehen hatte. Er nahm einen tiefen Atemzug von der kühlen Herbstluft und spürte im selben Moment, dass das keine gute Idee gewesen war. Augenblicklich fing er wieder an zu husten. Es schmerzte höllisch in seinen Lungen und er brauchte all seine Kraft und Konzentration um sich ein Stück von den Leuten um ihn herum weg zu schleppen. Er wollte nicht, dass jemand sah, dass er Blut spuckte.

Gedichte (105)

Meine Bitte

Etliche Jahre ist es her, dass die Diagnose kam,
Ein Urteil fiel, so folgenschwer, das uns und dir den Atem nahm,
Seit damals bist du mal alleine, mal von helfender Hand gestützt,
Gegangen über Stock und Steine, hast oft gefragt ob es was nützt,
Was es bringt, dich so zu quälen, jeden Tag neu aufzustehen,
Den schweren Lebensweg zu wählen, ohne den Horizont zu sehen,

Ich habe Angst, Angst vor dem Tag an dem du gehst,
Nach dem Ende verlangst, dem Drang nicht länger widerstehst

Doch du hast nicht aufgegeben, ich bin unendlich froh darum,
Manche Momente zu erleben erweckt in mir Bewunderung
Die Freude lebt im Augenblick, im Moment, glücklich und klar,
Wirf keinen müden Blick zurück, wie schwer der Aufstieg oftmals war
Denk dran wie wichtig du uns bist, an jedermann der zu dir steht
Leb so ernst es nötig ist, und so fröhlich wie es geht

Ich bin stolz den Weg zu teilen, ein Weggefährte dir zu sein,
Mit dir in Freundschaft zu verweilen, niemals bist du ganz allein,

Es gibt so manchen Grund zu klagen, doch komm Kleines, wir pfeifen drauf,
Eins wollt ich dir hiermit sagen: Bitte, bitte gib nicht auf!

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Gedichte (104)

Langer Atem

Die zarte Morgenröte
Die am Horizont erglüht
Wo die aufsteigende Sonne
Leuchtend ihren Glanz versprüht

Man hört der Vögel leises Zwitschern
Es rauscht sanft im Blätterdach
Der Himmel blau und wolkenlos
In dem Moment werde ich wach

Dieser Woche zweiter Tag
Schickt sich an, recht zu beginnen
Schließt mit der achten Stunde ab
Bin noch verträumt und wie von Sinnen

Just in diesem Augenblick
Trifft mich der Sonnenstrahlen Schein
Und ein Gedanke zieht vorbei:
So langatmig kann Lyrik sein

Zaubert Bilder für den Leser
Voller Schönheit, voller Macht
In Prosa hieß es kurz und knapp:

Dienstag Morgen, kurz nach acht
Bin gerade aufgewacht.

Gedichte (103)

Stimmungscocktail

Schon an der Stimme kann ich’s hören
Vom ersten Wort an war’s mir klar
Nuancen, die die Laune stören
Vorwurfsvoll, subtil und wahr

Es liegt heut etwas in der Luft
Schwebt herum, drückt aufs Gemüt
Kein süßlich-schöner Blumenduft
Wie er auf Sommerwiesen blüht

Es riecht nach unterdrücktem Frust
Mit einem Tropfen Bitterkeit
Im Abgang ein Hauch Streiteslust
Dazu noch ein Schuss Selbstmitleid

Und ich kann den Streit schon ahnen
Wie er von Fern herüber zieht
Worte, die mich streng ermahnen
Wie es manches Mal geschieht

Ich habe mich wohl falsch verhalten
Mich nicht betragen wie erhofft
Die Stirn zieht sich in tiefe Falten
Die Miene steinern wie so oft

Nicht wie man’s von mir erwartet
Gehorsamst meine Pflicht erfüllt
Bevor die Streiterei nun startet
Ist man leider nicht gewillt
Mir mitzuteilen was gewesen
Worin mein Fehlverhalten lag
Würd‘s gern wissen, gerne lesen
Was man mir vorwirft jeden Tag

Und ich denk‘ ganz still bei mir
Wie schön wären doch Vorwurfslisten
Von früher bis ins jetzt und hier
Den Geist mal gründlich auszumisten

Für jedermann frei einsehbar
Das Web 2.0 in Tadel-Form
Knapp, präzise und ganz klar
Nachvollziehbar und nach Norm

Perfekt nach Tag und Jahr sortiert
Dann wüsst‘ ich jetzt was Sache ist
Könnt reagieren statt irritiert
Bis das Selbstmitleid mich frisst

Hier zu stehen, dem Frust zu lauschen
Der sich über mir ergießt
Beginnt sich selber aufzubauschen
Und die Laune mir vermiest

So schwelg‘ ich in Gedanken
In dieser schlechten Witterung
Seh mein Selbstbewusstsein wanken
Und sag pauschal: Entschuldigung

Gedichte (102)

Ich wäre gern ein Kind

An langen arbeitsreichen Tagen
Ohne Antwort, voller Fragen
Ohne Ruhe, voller Müh
Arbeitsam von morgens früh
Stetig bis zur späten Nacht
Wenn nichts passiert was fröhlich macht
Dann kommt’s mir manchmal in den Sinn
Wär gerne anders als ich bin

Ich wäre gern ein Kind
Weil Kinder einfach einfach sind
Jünger, kleiner, faltenfrei
Die Welt wäre mir einerlei

Auf kurzen Beinen würd‘ ich stehen
Würd‘ den Tellerrand kaum sehen
Doch große Sorgen hätt‘ ich auch:

Was drückt und zieht in meinem Bauch?
Wo ist mein Spielzeug hingekommen?
Wo ist die Mama hingeschwommen?
Warum muss ich jetzt ins Bett?
Warum ist der Onkel nett
Aber die Tante ist es nicht?
Wieso verzieht die das Gesicht?
Warum riecht es hier so streng
Wieso ist meine Windel eng?

Ich wäre gern ein Kind
Weil Kinderwelten kleiner sind
Passt was nicht, weint man ein wenig
Und gleich ist man meist wieder König
Reicht das nicht, dann schreit man eben
Als ging es einem an das Leben
Danach freut man sich dann im Stillen
Jetzt hat man schließlich seinen Willen
Und wenn nicht wird man schnell abgelenkt
Weil der Opa Spielzeug schenkt
Oder wer Grimassen zieht
Oder was lustiges geschieht
Man kann soviel man will verschmutzen
Muss nicht aufräumen, nicht putzen

Am Tagesende wird man dann
Weil man kaum noch gucken kann
Ins Bett gesteckt samt Kuscheltier
Ein Elch vielleicht, oder ein Stier
Man kennt das Wort dafür ja nicht
Irgendwo brennt ein kleines Licht
Das böse Geister draussen hält
Aus unserer kleinen schönen Welt

Ich wär so gern wieder ein Kind
Weil Kinder einfach knuffig sind

Termine (8)

Guten Tag ihr lieben Menschen,

am 14.12., also kommenden Mittwoch, trete ich im Suicide Circus bei dem Kurzfilmabend shortCuts auf. Den Blog zu der Veranstaltung findet ihr hier: shortCUTS
Der Eintritt ist frei!

Ich würde mich sehr freuen, euch dort zu sehen.

Mit den besten Grüßen
Larry deVito

Gedichte (101)

Genesungslyrik II – Teil 22

Adieu

Ich hör am Strand das Meeresrauschen
Und sage ihm Auf Wiedersehen
Kann ein letztes Mal ihm lauschen
Morgen wird’s Zeit heimzugehen

Dankbar bin ich für die Zeit
Hinter Rostock und Schwerin
Bin für die Rückkehr nun bereit
In mein wunderschönes, hässliches
und unvergessliches Berlin