Gedichte (141)

Sicher

Der Baum ist ganz prächtig geschmückt
Hoch auf ein Podest gestellt
Die Kinderaugen sind entzückt
Weil er gar so gut gefällt

Als wär nicht artig er gewesen
Wurd‘ der Baum fest eingezäunt
Um ihn vor dem kleinen Wesen
Zu sichern das ihn jetzt verträumt

Beguckt und auch betasten würd
Ebenso die schönen Kerzen
Das Kind, es ist zum Glück ganz still
Und schreit nicht etwa laut vor Schmerzen

Denn auch die Kerzen sind hoch droben
Gibts ob des Aufwands auch Gekicher
So kann das Kind hier doch ruhig toben

Es weihnachtet gar kindersicher

Dem Ende entgegen (1)

Einen wunderschönen guten Abend,

das Jahr neigt sich so langsam dem Ende und ich möchte ein kleines Weihnachtsgeschenk loswerden. Für mich war es ein großartiges Jahr, mit etlichen Auftritten auf Slams, Lesungen und meiner Lesebühne. Vielen Dank an alle, die hier mitgelesen haben. Ich hoffe, 2012 wird ebenso schön. So wie es aussieht, wird es in den nächsten Monaten auch noch eine Menge Neuigkeiten von meiner Seite zu erzählen geben.
Aber jetzt erstmal zum Geschenk:
Ich schreibe an einer neuen Kurzgeschichte, die ich hier auf dem Blog nach und nach veröffentlichen werde. Heute kommt das erste Kapitel. Die Geschichte spielt in der Zukunft und heißt „Dem Ende entgegen“.
Wer Kritik, Lob oder irgendetwas dazu zu sagen hat: Ich freue mich sehr über Mails an belaw@gmx.net, oder über Kommentare unter diesen Post.

Ich wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2012!

Gruß
Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen

Kapitel 1

„Diese Entdeckung führte zu einem Umbruch, der bis heute in der gesamten Weltgeschichte einzigartig ist. Ein Einschnitt, der sich durch alle Bereiche der Wissenschaft und Wirtschaft zieht. In den Jahren danach ist die effektiv notwendige Anzahl der Beschäftigten weltweit auf knapp eineinhalbtausend gesunken. Die Tendenz ist nach wie vor fallend, weshalb mit der Zeit unter den Akademikern und Führungspersönlichkeiten ein immer härterer Kampf um die wenigen verbliebenen Arbeitsstellen entstand. Ein Kampf, dem auch Sie sich in wenigen Jahren werden stellen müssen.“
Tims Stimme hallte von den Wänden wieder. Das winzige Mikrofon an seiner Wange, das von den Plätzen der Studenten aus kaum zu erkennen war, verschaffte ihm ausreichend Lautstärke, um auch in den hintersten Reihen des Hörsaals noch verstanden zu werden. Über 200 Augenpaare ruhten auf ihm, in seinem schwarzen Anzug mit grauer quergestreifter Krawatte. Jede seiner Bewegungen, jedes Wort und jede Geste wurden genau beobachtet. Nicht ein einziger von ihnen wagte es, zu schlafen, oder im Geringsten unaufmerksam zu wirken, auch wenn sie den Stoff seiner Vorlesung vermutlich beinahe ebenso gut kannten, wie er selbst. Das Fach hieß „Geschichte der Weltwirtschaft III“ – von den Studenten meist nur kurz WeWi III genannt – und umfasste die Entwicklungen der globalen Ökonomie von 2100 bis heute. 89 ereignisreiche Jahre, in ein einziges Semester gezwängt. Eine Stoffdichte, die in modernen Hochleistungs-Studiengängen wie diesem durchaus üblich genannt werden konnte.
Die heutige Vorlesung war Tim die liebste des ganzen Semesters, da das Jahr 2105, das sie in dieser Sitzung behandelten, derart einschneidende Veränderungen in der Welt hinterlassen hatte, dass diese auch heute noch den Alltag jedes Menschen, egal ob Mann, Frau oder Kind, beeinflussten.
„Natürlich besteht seit damals für jeden von uns die Möglichkeit, mit Hilfe der staatlichen Sofortrente schlicht gar nicht mehr zu arbeiten.“, fuhr er nun fort. „Ein Luxus unserer Zeit, den über acht Milliarden Menschen Tag für Tag in Anspruch nehmen, doch ich vermute, dies kommt wohl für keinen von Ihnen in Frage.“
Verhaltenes Gelächter auf den Bänken. Eine derartige Vorstellung war für die hier Versammelten mehr als absurd.
„Das hatte ich mir gedacht. Gut, das war es für heute, denken Sie an die Essays bis kommenden Freitag. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“
Die Studenten klopften respektvoll auf die Tische, dann packten sie alle leise ihre Unterlagen zusammen und verließen den Saal in die verschiedensten Richtungen. Heute kam niemand zu ihm nach vorne, um irgendwelche Fragen zu stellen oder über den Vorlesungsstoff zu diskutieren, und auch wenn ihn das verwunderte, war er doch froh darüber.
Gemächlich sammelte Tim die auf dem Pult vor ihm verteilten Notizen ein und schaltete den Projektor aus. Er zog seine goldene antike Taschenuhr hervor. Es war jetzt kurz nach Zwölf. Noch acht Stunden. Seine Mundwinkel verzogen sich kaum merklich zu einem bitteren Lächeln.
Für einen winzigen Augenblick blieben seine Augen auf den Buchstaben hängen, die in schwungvollen Lettern in die Rückseite der Uhr graviert waren.

H.F.

Helena hatte sie ihm zum ersten Hochzeitstag geschenkt. Damals, als sie noch glücklich gewesen waren. Dessen war er sich sicher, an diesen Tagen waren sie glücklich gewesen. Lange bevor auch nur einer von ihnen ein Wort wie „Scheidung“ zum ersten Mal gedacht oder in den Mund genommen hatte. Tim spürte, wie die Kopfschmerzen langsam wiederkehrten und kramte in seiner Tasche nach einer weiteren Aspirin. Die wievielte war es heute? Vielleicht die fünfte? Er zählte es nicht mehr, es war auch egal. Noch acht Stunden. Mit der Selbstbeherrschung, die er sich in den letzten drei Wochen zu eigen hatte machen müssen, um überhaupt weiter zu funktionieren und seinem Alltag nachgehen zu können, lenkte er seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Schnell steckte er die Uhr wieder in sein Jackett, nahm seine Tasche und verließ den Hörsaal zügig. Nur für einen winzigen Augenblick hatte er sich gehen lassen, nur für einen klitzekleinen Moment, doch noch immer konnte er den Schmerz, daran zu denken, nicht ertragen. Irgendwie musste er diesen Tag überstehen. Kleine, übersichtliche Schritte. Das war jetzt das Entscheidende. Er stieß die Tür nach draußen auf, trat auf den Campus und sog geräuschlos die kalte Herbstluft in sich auf.
Sollte er seinen Wagen nehmen oder war es besser, sich heute fahren zu lassen? Spontan entschied sich Tim, seinen Porsche in der Uni-Tiefgarage stehen zu lassen. Jede Fahrt in den letzten Wochen war ein Kampf mit der Versuchung gewesen, etwas sehr dummes zu tun. Am heutigen Tag durfte er sich nicht zu dergleichen hinreißen lassen. Schon mit dem Gedanken zu spielen war keine gute Idee.
Auf der Straße hielt er ein vorbeifahrendes Taxi an, indem er einen Daumen hinausstreckte, wie es im vergangenen Jahrhundert oft die Anhalter am Straßenrand getan hatten. Die schwarze Mercedes-Limousine hielt an und er ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Der Fahrersitz war leer, doch das überraschte Tim nicht. Jedes Taxi wurde ausschließlich über den zentralen Bordcomputer gesteuert, der dank der Leitlinien auf der Straße, sekundenaktuellen GPS-Bildern, zahlreichen Kameras und Sensoren seiner Aufgabe, einen sicher ans Ziel zu bringen, bestens gewachsen war. In den Touchscreen tippte Tim die Adresse seines Appartements in Schöneberg und das Taxi machte sich geräuschlos auf den Weg durch das herbstlich düstere Berlin.
All diese Technik, von der er seinen Studenten gerade noch erzählt hatte, war so einflussreich, so entscheidend für die Welt, und dennoch konnte sie bei der menschlichen Gefühlswelt nicht weiterhelfen. Egal wie revolutionär es damals gewesen war, als man begann, die natürlichen Rohstoffe massenweise künstlich zu reproduzieren und gleichzeitig die weltweit notwendigen Arbeitstätigkeiten auf Maschinen und Roboter zu verlagern. Sobald es um Liebe ging, um Trauer, konnte keine Technik der Welt etwas an den Grundfesten des Problems ändern. Es mochte heute Dating-Agenturen geben, die über chemische Bestandteile deiner Haut und stundenlange Psychoanalyse den einen perfekten Partner auf der Welt für dich fanden, und trotzdem war nicht garantiert ob die Beziehung glücklich enden würde. Perfektion war auf Gefühlsebene nicht notwendig, es ging vielmehr um Glück. Eine Form von Glück, bei der technische Überlegenheit nichts ausrichten konnte. Mit müden Augen beobachtete Tim die Stadt, wie sie an seinem Taxi vorbeizog, sah die Menschen in den Cafés und Restaurants sitzen und sich unterhalten. Wie gerne würde er doch zu ihnen gehören, dachte er voll Wehmut. Zu diesen einfachen Leuten, die tagein, tagaus nichts anderes taten, als sich miteinander zu verabreden, zu essen, zu trinken und irgendwelchen Hobbys nachzugehen. Wenig Schulbildung, wenig Antrieb, ein hohes Maß an Zufriedenheit. Die erste Generation hatte noch Schwierigkeiten gehabt, sich anzupassen, als sie fast alle ihre Jobs verloren hatten und von einem Tag auf den anderen jedermann die Grundrente ausbezahlt bekam. Vielen war es damals noch schwer gefallen, sich von dem Gedanken an Arbeit zu lösen, das wusste Tim aus den Erzählungen seiner Großeltern und aus alten Quellen an seinem Institut. Nur wenige hatten weitergemacht, geforscht und gearbeitet. Ein winziger Prozentsatz wurde noch benötigt um die Technik weiterzuentwickeln. Herstellung, Feinschliff, Programmierung, all das konnten heutzutage Roboter erledigen, doch tatsächlich auf neue Ideen zu kommen, neues zu erfinden, das war bisher technisch nicht ersetzbar gewesen.
Die Menschen in den Cafés sahen so entspannt aus, so glücklich, dachte Tim. Früher hatte er sich darüber nie Gedanken gemacht, wie es den Menschen ohne Arbeit ging. Er war stolz gewesen, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, die die Forschung vorantrieben und die ein Leben kannten, das nicht nur aus Konsum und Freizeit bestand. Doch war es das wert? Die zahlreichen Stunden, Tage, Wochen, die er gearbeitet hatte – hätte er sie nicht besser mit Helena verbringen sollen? Um diesen mittlerweile vollkommen sinnlosen Punkt kreisten seine Gedanken nun schon seit Tagen wieder und wieder. Es war vorbei, und nichts in der Welt würde das mehr ändern können. Das waren ihre Worte gewesen.
Als das Taxi vor seinem Haus hielt, stieg er aus. Bezahlen war nicht nötig, das Taxi fuhr sofort weiter, als er ausgestiegen war. Zügig betrat er das Haus, fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und betrat seine Wohnung. Diese Wohnung voller Erinnerungen.
Noch sieben Stunden und vierzig Minuten, dachte er.