Einen wunderschönen guten Tag,
es hat lange gedauert, aber was lange währt wird hoffentlich gut. Hier kommt der neue Teil der Erzählung „Hinter verschlossenen Türen“ und bis zum nächsten sollte es bei weitem nicht so lange dauern. Es war ein aufregendes und herausragendes Jahr für mich, voller Höhen und mit angenehm wenig Tiefen, meinem zweiten Gedichtband, meinem Roman-Debüt, außergewöhnlich schönen Auftritten und vielen Menschen, die das Ganze sehr sehr großartig gemacht haben. Dankeschön an alle, die meine Texte lesen, meine Bücher kaufen oder zu den Auftritten kommen, das alles ist mir wirklich eine große Freude. Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins Jahr 2013 und ein schönes Sylvester!
Mit den allerbesten Grüßen
Arno / Larry
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Hinter verschlossenen Türen – PDF
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5. Kapitel
Auf dem Heimweg hingen sie beide schweigend ihren Gedanken nach. Ein paar Straßen entfernt hörte man die Polizeisirenen. Die Schlägerei war sicher noch in vollem Gange. Peter dachte darüber nach, was Lewandowski als Letztes gesagt hatte. Nicht, dass es ihm nicht auch schon durch den Kopf gegangen war. Es gab niemanden, der auf ihrem Gebiet besser war als Lisa-Marie. Sie hatte zwischen ihrem vierzehnten und zweiundzwanzigsten Lebensjahr in acht verschiedenen Disziplinen den Titel des deutschen Meisters oder Vizemeisters geholt, darunter Judo, Kickboxen, Siebenkampf und noch mehr Arten der Leichtathletik. Sie hatte ihm letztes Jahr die Medaillen und Trophäen bei sich zuhause gezeigt, kurz, nachdem sie angefangen hatten, sich auch außerhalb der Arbeit zu sehen. Wären sie bei einer professionellen Distanz geblieben, dann wäre alles anders gekommen. Seit ihrem letzten gemeinsamen Job hatte es keinen Tag gegeben, an dem er das nicht bereut hatte. Ein Moment des Zögerns im falschen Augenblick und alles war zunichte gewesen. Es hatte ihn wütend auf sie gemacht, in düsteren Stunden sogar hasserfüllt, aber er wusste, dass er nicht auf Lisa-Marie sauer sein sollte. Sie hatte einen Fehler gemacht, gut, aber die Planung hatten Alessio und Adamo versaut. Sie waren es, die die falschen Entscheidungen getroffen hatten. Sie waren es, auf die er sich konzentrieren musste. Bei ihrem Treffen früher an diesem Abend hatte er versucht mit den beiden darüber zu reden. Was er sagen wollte, stand ihm schon lange fest vor Augen.
»Wir machen es nach meinen Regeln«, hatte Peter gesagt. Ernst und nicht bereit, einen Millimeter davon abzuweichen. »Ihr habt ja bei der Sache mit Sony gesehen was passiert, wenn ihr die Pläne ohne mich zu fragen ändert.«
Adamo hatte zögernd zugestimmt, aber versucht, die Fehler bei der Planung ihres letzten Jobs herunterzuspielen. Er hatte sich darauf konzentriert, Peter den neuen Job zu erklären und die Umgebung. Peter war immer noch wütend darüber, dass sich keiner der beiden bei ihm entschuldigt oder auch nur den leisesten Anflug von Reue gezeigt hatten. Mit einem Achselzucken waren sie über das Thema seiner Gefangenschaft hinweggegangen. Und jetzt arbeitete er schon wieder für sie. Aber diesen letzten Job für die Beiden musste er einfach machen, für seinen Ruf und auch um wieder an Geld zu kommen. Danach war immer noch genug Zeit für Gerechtigkeit.
»Wenn wir sie rausholen wollen, müssen wir es bald tun. Es ist nicht viel Zeit bis zum 3.Oktober und nach deinem Ausbruch werden die Sicherheitsbedingungen im Knast bald schärfer werden«, sagte Lewandowski nachdenklich und riss Peter damit aus seinen düsteren Gedanken.
»Du hast recht.« Peter wusste, dass es keinen anderen Weg gab, wenn ihnen dieses Spiel gelingen wollte. »Ich brauche zwei Tage und möglicherweise einiges an Ausrüstung.«
»Meld dich bei mir wenn du einen detaillierten Plan hast«, antwortete Lewandowski. »An Ausrüstung kann ich dir alles besorgen, was der Markt hergibt.« Lewandowski war zuversichtlich, dass sie das schaffen würden. Mit Peter in Freiheit standen wieder ganz andere Möglichkeiten offen. An der Ecke Lukasstraße verabschiedeten sie sich und umarmten sich für einen Moment.
»Ich freu mich wirklich, dass du wieder da bist«, sagte Lewandowski noch, dann ging er davon. Peter sah ihm nach, wie er im steten, bläulich-kalten Licht der Straßenlaternen heimwärts ging. Aufrecht und in seinem Maßanzug gut gekleidet wie eh und je. Er war sich nicht sicher, ob es gut war, was sie vorhatten. Im eigenen Areal zu wildern war eine gefährliche Sache und wenn rauskam, dass Lewandowski damit etwas zu tun hatte, würde er nicht nur sein Geld und seinen Besitz, sondern auch seinen Ruf verlieren und Peter wusste nicht, was davon am schwersten wiegen würde.
In diesem Moment fiel in den Tiefen seines Gehirns ein Steinchen an seinen wohlverdienten Platz und ein weiteres Detail seines Gespräches am Abend kam ihm in den Sinn. »Warte mal kurz!«
Lewandowski drehte sich um und Peter schloss zu ihm auf. »Alessio meinte, du könntest mir noch was darüber erzählen, warum die letzten Tage so viel Trubel war. Was ist schiefgegangen bei den Vorbereitungen?«
Die nächsten 48 Stunden schlief Peter kaum. Er saß die meiste Zeit am Schreibtisch im Obergeschoss des Hauses, das er jetzt vorübergehend bewohnte. Er studierte Baupläne und Skizzen und machte sich Gedanken, wie der Job am besten gemacht werden konnte und wie Lisa-Marie am sichersten aus dem Knast zu holen war. Die Neuigkeiten, die Lewandowski ihm noch in der Nacht in aller Kürze erzählt hatte, waren besorgniserregend. Toni, ein Mitarbeiter der Uni, der für Adamo oder für irgendeinen Stellvertreter des Stellvertreters eines Untergebenen von ihm ein bisschen Drecksarbeit hatte erledigen sollen, hatte wohl Eins und Eins korrekt addiert und all seine Informationen über Alessio und Adamo an die Cops gegeben, in der Hoffnung, das Kopfgeld für die beiden zu kassieren und sein weiteres Dasein als reicher Mann zu fristen. Obwohl er nicht allzu viel wusste und obwohl Alessio und Adamo sich zeitnah und deutlich bei ihm bedankt hatten, hatten die Infos Staub aufgewirbelt. Egal ob es ein hochrangiger Mitarbeiter der Uni oder die gesammelte Datenverarbeitungsmaschinerie bei der Polizei gewesen war, irgendjemand war auf den Trichter gekommen, dass in nächster Zeit ein Coup gegenüber der Universität geplant sein dürfte. Daraufhin war der Schutz aller wertvollen Technik an der Universität bedeutend erhöht worden. Im Gegensatz zu früheren Jobs konnte er bei der Planung dieser Aktion auch nicht so frei agieren. Alle Daten, die er nicht im Netz fand, musste Skinny beschaffen, weil er sich – Großfahndung sei Dank – nur selten bei Tageslicht draußen sehen lassen konnte. Die Kameras auf allen öffentlichen Plätzen, in den Taxen, Bussen und Bahnen waren zweifellos mit seinen biometrischen Daten gefüttert und würden ihn in Windeseile identifizieren, sobald sein Gesicht zu sehen war. Nur nachts konnte er sich auch auf größeren Straßen relativ gefahrlos bewegen. Doch selbst unter diesen erschwerten Bedingungen kam er voran. Mittlerweile hatte er gemeinsam mit Lewandowski ausführlich Fluffy untersucht. Sie hatten keinerlei Signal gefunden, das von dem Roboter ausging, also würden sie ihn weiter benutzen. Im Idealfall würde er Lisas Befreiung so unkompliziert machen, wie seine gewesen war. Mittlerweile wurde es merklich heller an seinem Schreibtisch. Draußen ging tatsächlich schon wieder die Sonne auf. Montagmorgen. Peter zog sein neues Prepaid-Handy aus der Tasche und rief Lewandowski an. Im Gegensatz zu ihm selbst war Lewandowski nicht immer noch, sondern schon wieder wach. Peter nannte ihm den Treffpunkt und zählte die nötige Ausrüstung für Lisa-Maries Befreiung auf, dann beendete er das Telefonat. Zeit, schlafen zu gehen. Zu faul sich ins Schlafzimmer zu schleppen, streckte er sich einfach auf dem kleinen braunen Ledersofa aus und gab endlich der Erschöpfung in seinem Körper nach. In dem Augenblick, in dem sein Kopf die Polster berührte war er auch schon eingeschlafen.
Wach wurde er erst, als sich langsam wieder Dunkelheit über Berlin legte. Skinny berührte ihn an der Schulter und er schreckte auf.
»Alles fertig?«, fragte Skinny.
Peter nickte müde und musste sich konzentrieren, um nicht sofort wieder einzuschlafen.
»Mach mir bitte einen Kaffee, ich bin gleich unten.« Er sah auf seine Uhr. »Wir haben noch genug Zeit.«
Zehn Minuten später verließen sie das Haus. Trotz der lauen Sommernacht trug Peter einen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze. Er wollte kein Risiko eingehen. Eine Querstraße vor dem Gefängnis trafen sie sich mit Lewandowski, der mit seinem schwarzen Pick-Up gekommen war. Auf der Rückbank lag Fluffy, abgedeckt mit einem Tuch.
»Kommt mit«, sagte Peter, nachdem er den Androiden aktiviert hatte. Alle zusammen näherten sie sich dem Eingang des Gefängnisses. Peter blickte um die Ecke und hielt abrupt inne.
»Das hatte ich befürchtet«, sagte er und wandte sich mit ernstem Blick um. »Sie haben Wachen vor dem Gefängnis postiert. Zwei Androiden, ich vermute schwere Bewaffnung.«
»Hast du den Taser dabei?«, fragte er in Lewandowskis Richtung. Dieser zog aus seiner Tasche ein winziges schwarzes Gerät, nicht größer als ein Feuerzeug, das zwei kleine Zacken auf der Oberseite hatte. Peter zupfte Fluffys Uniform zurecht, so dass sie vernünftig saß, und reichte ihm dann den Taser.
»Wenn du an den Wachen vorbei bist, halte ihnen nacheinander das hier ins Genick und drücke den Knopf da unten. Dadurch sind sie handlungsunfähig und stören nicht weiter. Dann bring Lisa-Marie den Zettel in ihre Zelle und nimm sie mit bis zur Tür. Alles weitere besprechen wir dann.«
Er schob ihm ein kleines Kuvert in die Tasche. Der Android nickte und marschierte augenblicklich los.
»Das nenne ich mal ne Arbeitseinstellung«, sagte Lewandowski während Fluffy um die Ecke verschwand. »Wir sollten uns mehr von denen besorgen, dann wären die Jobs ein Kinderspiel.«
Skinny lachte leise, doch Peter war viel zu angespannt um daran irgendwas witzig zu finden. Er lugte um die Ecke, froh, dass die beiden Wachen noch stur geradeaus sahen. Hoffentlich hatten sie ihre Wärmebildkameras nicht standardmäßig an, sonst konnten sie hier leicht Probleme kriegen. Als Fluffy sich den Wachen weiter näherte blickten sie zu ihm, Peter hielt für einen Augenblick den Atem an. Doch die Wachen drehten sich kommentarlos zurück an ihre Plätze, ganz wie er gehofft hatte.
»Ich dachte Taser funktionieren nicht bei den Blechkisten«, sagte Skinny hinter ihm.
»Das ist kein einfacher Taser«, antwortete ihm Lewandowski leise. Er überlegte, wie er es in Worte packen konnte, die jemand wie Skinny verstand. »Für die handelsüblichen Varianten sind die Androiden kaum empfindlich. Den hier habe ich vor ein paar Jahren entwickelt. Er sendet einen elektromagnetischen Puls, der die Androiden lahmlegt, sie gehen nicht vom Netz, aber sie senden und empfangen nicht mehr und sind damit keine Gefahr. Das Problem ist, das Ganze funktioniert bisher nur an den dünnsten Stellen ihres Panzers, den Gelenken, und es ist nicht gerade leicht einen von denen da zu treffen. Da hat es unser neuer Freund vermutlich leichter als wir.«
Peter hörte nur mit einem halben Ohr zu, er betrachtete weiter Fluffy, der nun hinter den Wachen war. Mit zwei blitzschnellen Bewegungen brachte er den kleinen Taser in die entsprechenden Positionen und machte die Wachen kampfunfähig. Der Junge war echt Gold wert. Die beiden Wachen blieben stocksteif stehen und regten sich nicht mehr. Allein ihre mangelnde Reaktion auf die schnellen Bewegungen von Fluffy versicherten Peter, dass es geklappt hatte. Sollte irgendjemand hier vorbeilaufen, würde er kaum eine Veränderung bemerken, dennoch hoffte Peter inständig, dass sie keine Schaulustigen anlocken würden. Selbstgefilmte Videos davon wie sie Lisa-Marie halfen aus dem Knast auszubrechen fehlten ihm gerade noch zu seinem Glück.
»Es hat geklappt. Weiter geht‘s!«, sagte Peter halb nach hinten gedreht und unterbrach damit Lewandowski, der gerade versuchte, Skinny irgendeinen technischen Kunstgriff zu erklären, der für die Entwicklung des Tasers extrem wichtig gewesen war. Peter hatte durch die Krücken keine Hand frei und war froh, dass er Skinny und Lewandowski dabei hatte, die mühelos das bisschen Ausrüstung tragen konnten.
Fluffy war bereits verschwunden und es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die dunkle Holztür wieder öffnete. Da war Lisa-Marie leibhaftig in denselben schlichten Klamotten, in denen Peter sie damals an seiner Zelle hatte vorbeigehen sehen. Sein Herz schlug heftig in der Brust, er spürte die Aufregung. Einsam in seiner Zelle hatte er nie etwas anderes als Wut auf sie gespürt, aber jetzt nahm er auch wieder wahr, wie sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte.
»Bleib stehen«, sagte Lewandowski. Lisa-Marie stoppte mitten in der Bewegung und sah ihn irritiert an. »Du kannst hier nicht so ohne weiteres durch.«
»Hi erstmal«, sagte sie in einem Ton, von dem sich Peter nicht sicher war, ob er herablassend gemeint war oder ob sie einfach nur die Situation nicht einschätzen konnte.
»Hi«, sagte Peter mit einem Krächzen im Hals. Für einen winzigen Augenblick trafen sich ihre Blicke, dann blickte sie weg und sah stattdessen Lewandowski an.
»Aber ihr habt mich doch sicher nicht nur bis hierher bestellt, um kurz zu plaudern und dann wieder zu gehen, oder? Kann ich mich nicht einfach wieder an dem netten Cop hier festhalten?« Sie deutete auf Fluffy.
Peter, der seine Sprache langsam wiederfand, ergriff das Wort.
»Das geht nicht, dagegen ist der Durchgang gesichert, aber wir haben einen Plan und wenn nichts schief geht, bist du in wenigen Minuten hier draußen.«
Lisa-Marie blickte weiter stur zu Lewandowski, als würde sie sich mit ihm unterhalten.
»Und wie ist der Plan?«
»Bring zur Sicherheit noch das Tape an, man weiß ja nie«, sagte Peter an Lewandowski gewandt. Lewandowski nickte und machte sich daran, eine Rolle mit einer Art schwarzem Klebeband außen am Türrahmen anzukleben, das auf dem schwarz lackierten Grund kaum auffiel.
Peter sah auf die Uhr.
»Bis jetzt passt das Timing perfekt. Skinny, du zündest pünktlich um 21:05 Uhr, dann sollte alles so klappen wie bei mir«, sagte er entschlossen.
»Alles klar, Chef«, antwortete Skinny und machte sich vom Acker.
»Kann mir mal jemand erklären, was ihr vorhabt?« Lisa-Maries Stimme hatte einen zickigen Ton angenommen. Das hat man davon, wenn man versucht jemanden aus dem Knast zu holen, dachte Peter. Kein Stück Dankbarkeit. Aber was konnte man schon erwarten? In kurzen Worten erklärte er Lisa-Marie die nächsten Schritte im Plan und bedeutete ihr, in Deckung zu gehen. Dann zog er sich gemeinsam mit Lewandowski zurück, um den Androiden nicht durch eine Bewegung abzulenken. Hinter der Hausecke sahen sie sich erwartungsvoll an. Noch zwei Minuten verblieben. Dann war es nur noch eine.
Die Explosion hinter dem Haus zündete pünktlich um fünf nach und im selben Augenblick hörten sie aus Richtung des Eingangs einen spitzen Schrei. Die Stimme klang weiblich.
Peter warf Lewandowski einen ernsten Blick zu.
»Ich hab da ein ganz mieses Gefühl.«