Hinter verschlossenen Türen (10)

Einen wunderschönen guten Tag,

ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr! Es war ein arbeitsreiches Jahr für mich und ich vermute, 2014 wird ebenso arbeitsreich und dabei hoffentlich ebenso schön werden.  Nachdem ich es lange immer wieder verschoben habe, ist nun meine Erzählung „Hinter verschlossenen Türen“ endlich fertig und online und ich würde mich sehr freuen wenn sie der eine oder andere von euch liest. Dies könnt ihr entweder über den Blog tun, beispielsweise indem ihr auf diesen Link klickt. Dadurch werden euch die 10 Kapitel als Blog-Posts angezeigt, allerdings ist dabei das erste Kapitel der unterste Post und so weiter. Eine weitere Möglichkeit ist, die Erzählung als PDF zu lesen . Falls ihr andere Formate zusätzlich wünscht sagt Bescheid, ich sehe was ich tun kann. 2014 wird es hoffentlich meinen nächsten Roman geben und natürlich auch immer wieder Gedichte und Geschichten. Zu „Dem Ende entgegen“ und „Hinter verschlossenen Türen“ wird es auch noch einen dritten Teil geben, sobald ich genaueres weiß sage ich euch Bescheid.

Mit den allerbesten Grüßen,
Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

10.  Kapitel

Als Peter das Schließfach öffnete, entfuhr ihm ein kurzes Lachen. Das Kopfgeld für Adamo und Alessio lag in dicken Bündeln von Banknoten aufgestapelt. Er untersuchte jedes Bündel einzeln auf Wanzen und packte es dann in den Rucksack, den er vor wenigen Minuten hier im Hauptbahnhof erstanden hatte. Er fand keine einzige. Draußen auf der Straße wartete Lisa-Marie in einem schwarzen VW Golf 8. Sie küssten sich als er einstieg, ihr den Rucksack zuwarf und das Auto in Bewegung setzte.
»Gab es noch irgendwelche Probleme?«, fragte Peter. Sie schüttelte den Kopf, während sie staunend das Geld im Rucksack untersuchte. »Alles ruhig seit ich aus der Uni raus bin. Was ist bei euch passiert?«
Peter erzählte ihr von Lewandowskis Tod und seine Stimme zitterte dabei.
»Ich schätze«, sagte er, als seine Erzählung bei seiner Flucht angelangt war, »Fluffy wurde eingeschleust um Informationen zu sammeln und zuzugreifen, sobald er Beweise hatte.«
»Aber ihr habt doch keine Signale gefunden, die von ihm ausgingen, als ihr ihn untersucht habt, oder?«
Peter zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht war die Technik besser als unsere. Ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass er einfach nur ein initiales Programm hatte und das abgearbeitet hat, ohne frische Instruktionen. Die Cops haben geahnt, dass bald ein großes Ding steigen würde und einen Spieler in Aktion gebracht, der uns helfen würde, bis der Job durch war, um uns dann auffliegen zu lassen. Es war abzusehen was Adamo tun würde, wenn er einen AS1 in die Finger kriegen konnte.«
»Und warum dann zusätzlich der Deal mit dir? Das passt doch nicht zusammen.«
»Ich kann es mir nur so erklären«, sagte Peter nachdenklich, »dass sie keinen Kontakt mehr mit Fluffy hatten nach Beginn seiner Mission. Was ich ihnen vorgeschlagen habe, war zu interessant um Nein zu sagen. Eine Möglichkeit, an die großen Fische zu kommen, statt nur immer wieder die kleinen abzufangen.«

Peter lenkte den Wagen auf die Autobahn. Lisa-Marie hing ihren Gedanken nach. Peter hatte sie bei weitem nicht in alles eingeweiht. Um sie oder um sich zu schützen? Das wusste sie nicht, aber sie wusste, dass sie ihm vertraute.
»Aber wozu die ganze Nummer überhaupt?«
Die Frage geisterte seit Tagen durch ihren Kopf, doch sie hatte sich nicht getraut sie zu stellen. »Das Kopfgeld hättest du doch auch so haben können, oder?«
»Es ging nicht nur darum. Klar hätte ich sie einfach ausliefern können, aber wir wollten an das ran, was auf dem Chip des M-Droid gespeichert war. Richtig eingesetzt ist das derzeit die beste Spionage-Software der Welt. Lewandowski hätte damit einiges anfangen können. Jetzt müssen wir sehen, was damit passiert.«
»Aber du hast doch gesagt, den Chip hast du Adamo gegeben, kurz bevor er verhaftet wurde?«
Peter lachte leise. »Ja, das schon. Aber bei meiner Flucht aus der Uni habe ich den Chip draußen an Justus übergeben. Der hat ihn ausgelesen und ihn mir kurz vor der Übergabe wieder zugesteckt. Als betrunkener Feierwütiger kostümiert, falls einer der Brüder im falschen Moment hinsehen und ihn erkennen sollte.«
Lisa-Marie rauchte der Kopf. »Aber wieso hast du ihnen Justus überhaupt vorgestellt? Er hätte doch genauso gut unbekannt bleiben können.«
»Er musste wissen, mit wem er es zu tun hatte und wer alles dazugehört. Das war der einfachste Weg.«
Vor dem Fenster zog das beschauliche Grün Brandenburgs vorbei. Der Golf machte es nötig, dass man von Hand schaltete und selbst beschleunigte und bremste. Er hatte weder einen Bordcomputer noch ein Navigationssystem, deswegen hatte Peter ihn ausgesucht. Solche alten Autos waren schwerer aufzuspüren. Skinny hatte den Wagen besorgt, nachdem Peter auf freien Fuß gekommen war, zur Reserve.

»Und wo fahren wir jetzt hin?«, fragte Lisa-Marie unsicher.
»Ich habe für uns eine Wohnung in einem kleinen Dorf in Brandenburg besorgt. Es nennt sich Brieskau-Finkenwalde und ist recht abgeschieden. Dort bleiben wir bis Gras über die Sache gewachsen ist. Justus kommt auch dorthin. Mit den Chips sollte es uns möglich sein, uns in Zukunft auf Datendiebstahl zu spezialisieren. Ich will nicht mehr vor Ort sein müssen.«
Er legte seine Hand auf ihr Knie und versuchte sein angeschlagenes Nervenkostüm zu beruhigen. Sie waren zusammen, sie hatten genug Geld um lange Zeit ohne Jobs auszukommen und der Mikrochip dürfte sich hoffentlich als nützlich für ihre weiteren Planungen erweisen.
Nach einer weiteren halben Stunde bog er nach Brieskau-Finkenwalde ein. Es war ein kleiner Ort, bei dem nur noch wenige Häuser intakt waren. Überall waren Ruinen zu sehen. Hier würde sie niemand stören. Sie überquerten den Dorfplatz. Irritiert betrachteten die beiden die Überreste einer zerstörten alten Statue, die verwittert die Mitte des Platzes zierte. Es war nicht mehr zu erkennen wen oder was sie einst dargestellt hatte. Die Straße, in der ihre Wohnung lag, bestand nur aus zwei Häusern. Peter holte wie vereinbart im Erdgeschoss den Schlüssel ab, dann gingen sie in den ersten Stock zu der Wohnung, die für die nächsten Monate ihr Zuhause sein sollte. Sie traten ein und verschlossen vorsichtig die Tür hinter sich. Peter umarmte Lisa-Marie innig. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit schlich sich ein kleines Lächeln in sein Gesicht. Es würde schon alles gut werden.

Hinter verschlossenen Türen (9)

Hinter verschlossenen Türen – PDF

9.  Kapitel

Der Augenblick des Sprungs zog sich vor Peters Augen ins Endlose. Seine Gedanken zuckten immer wieder zu dem Moment, als beim letzten Mal alles schiefgegangen war. Der Plan war gewesen, im Warenlager P3-Süd von Sony eine Charge wertvoller Laptops zu stehlen, für die Adamo einen Abnehmer hatte, der bereit war, gut zu bezahlen. Die Laptops waren noch nicht im Handel erhältlich und würden an Geschwindigkeit alles bekannte weit in den Schatten stellen. Er hatte Wochen mit der Plaung verbracht, ein Team zusammengestellt und alles abgesichert, doch am Tag vor dem Job hatten Adamo und Alessio ihm mitgeteilt, dass sich die Pläne geändert hätten. Ein kleineres Team, mehr Risiko, weniger Ausrüstung – alles in allem weniger Kosten. Jeder Versuch sie zu überzeugen war fehlgeschlagen und er hatte den Fehler gemacht, sich darauf einzulassen. Die beiden hatten es irgendwie geschafft Lisa-Marie davon zu überzeugen, ohne die geplanten Sicherungen, ohne zusätzliches Equipment zu arbeiten. Trotz allem war der Anfang großartig gelaufen. Über die Zäune kommen, aufs Dach klettern, durch die Dachluke rein. Dann war Lisa-Marie dran. Sie musste in 25 Metern Höhe über die Stahlträger des Daches balancieren und immer von einem zum anderen springen um zum Sicherungskasten klettern zu können ohne Alarm auszulösen. Zwei Sprünge liefen problemlos. Bei Sprung Nummer 3 rutschte sie bei der Landung mit dem linken Fuß ab und stürzte in die Tiefe. Ein Teil des Equipments um dass sich Alessio und Adamo gedrückt hatten, hätte ihren Sturz abfangen sollen im Notfall, doch so gab es kein Seil das sich straffte, nichts, das sie hielt. Sie fiel einfach außer Sicht. Mit Entsetzen hörte Peter den Aufschlag, hörte, wie der Alarm auslöste.
Laut Protokoll gab es nur zwei mögliche Varianten. Mit Plan B weitermachen und versuchen, den Job noch zu beenden oder sofortiger Rückzug. Er entschied sich für die dritte und wartete einfach ab. Paralysiert blickte er hinab, bis plötzlich mehrere Dinge auf einmal geschahen. Sein Bruder, der hinter Peter an der Luke gewartet hatte, bewegte sich nach draußen und sprang, um noch vor dem Eintreffen der Polizei wegzukommen einen Teil des Abstiegs, über Funk befahl Adamo seinen Leuten den sofortigen Rückzug ohne Rücksicht auf Verluste, und Peter nahm an einem der Container in der Halle eine Bewegung war. Lisa-Marie kletterte dort. Scheinbar hatte sie im Fall irgendwie den Container zu fassen gekriegt und der Aufprall, den er gehört hatte, war das Krachen an dessen Metallwand gewesen, nicht der Aufschlag auf dem Boden. Als sie ihn sah gab sie Peter ein Zeichen das alles in Ordnung war und begann sich zu einer der Seitentüren zu hangeln, die für ihre Flucht vorgesehen gewesen waren. In dem Wissen, dass es ihr gut ging, stieg Peter wieder den Weg an der Außenseite der Halle hinunter, den er gekommen war.
Er sah seinen Bruder humpelnd weglaufen, hörte die Schüsse und sah, wie er zu Boden fiel und reglos liegen blieb. Peter konnte es nicht glauben. Er rannte zu ihm, sah das Blut und konnte nichts tun. Plötzlich war er von Gewehrläufen umgeben. Er wurde festgenommen und abgeführt.

Noch immer sah er vor seinem geistigen Auge Lisa-Marie fallen, hörte die Schüsse auf seinen Bruder und spürte die Wut, die all das in ihm ausgelöst hatte. Lisa-Marie war entkommen, doch man hatte sie wenige Tage später geschnappt, ebenso wie ein paar weitere seiner Team-Mitglieder. All das flutete sein Gehirn während der Sekunde, die sich Lisa-Marie in der Luft befand. Doch diesmal gab es keinen Fall, keine Eskalation. Sie landete auf der Theke, exakt so wie sie es geplant und trainiert hatte und hielt dort für einen Moment zusammengekauert inne. Peter zeigte ihr den nach oben gestreckten Daumen. Sie drehte sich um und beugte sich ein Stück Richtung Schaltpult. Ihr Knöchel blieb an dem kleinen Blumentopf mit dem Kaktus hängen und ihr entfuhr ein leises Ächzen als der Kaktus seine Stacheln in ihrem Bein hinterließ. Sie warf Peter und Lewandowski einen ängstlichen Blick zu, doch Lewandowski winkte ab. Der Alarm war nicht angesprungen. Er hielt zwei Finger hoch. Also schätzte er, dass sie noch zwei Minuten hatten, bis es ernst wurde.
Lisa-Marie besah sich das Schaltpult und machte sich an seiner Seite zu schaffen. Sie legte behutsam zwei Kabel frei, holte eine kleine Zange hervor, zog die Kabel vorsichtig aus ihren Verbindungen und legte die Kontakte aneinander. Ein winziger Funke sprang über. Sofort erloschen die Lichtschranken. Peter betrachtete die Dioden auf der Schalttafel.
»Es hat geklappt. Fluffy, du bleibst hier und schiebst Wache. Ich rufe dich, wenn wir dich brauchen.«
Gemeinsam mit Lewandowski ging er auf den Schrank zu hinter dem sich der M-Droid verbarg. Lisa-Marie stieg von der Theke und schloss sich ihnen an. Eigentlich hätte Skinny Wache schieben müssen, aber so wie es jetzt stand konnte er Fluffy besser entbehren als Lewandowski. Peter zog die Schublade auf, in der sich das Touchpad verbarg, das den Zugang zum M-Droid regelte. In wenigen Sekunden würde er ihn in den Händen halten und den Abgang antreten. Es war besser gelaufen als er befürchtet hatte. Er aktivierte das Touchpad und drückte die Schaltfläche um den M-Droid auszufahren.
»Lewandowski, guck dir das hier Mal an. Ich dachte, das Steuersystem ist nicht extra geschützt.«
»Ist es auch nicht.« Lewandowski blickt ihm über die Schulter. »Oh.«
Das System forderte eine Passworteingabe von vier Ziffern. Lewandowski probierte ein paar Kombinationen aus.
»Okay, es ist weder sein Geburtsdatum noch das seiner Frau.«
Er zog den Mund kraus, während er nachdachte.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Lisa-Marie. »Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt.«
In ihrer Stimme schwang Angst. Auch sie wollte um nichts in der Welt zurück ins Gefängnis. Da schlich sich ein Grinsen auf Lewandowskis Gesicht. Er drehte sich zu Peter. »Ruf mal deinen Staatsdiener her.«

Als Fluffy vor ihnen stand, fragte Lewandowski: »Können deine Finger Touchscreens bedienen.« Fluffy nickte stumm.
»Dann zeig mal, was deine Hände hergeben. Wir brauchen alle vierstelligen Zahlen, zuerst die, die mit 20 und 21 anfangen, danach alle, die sonst klassische Kombinationen für Passwörter sind. Und das so schnell es geht.«
Fluffy nickte erneut, stellte sich an das Touchpad und begann mit einer Hand in einem Tempo zu tippen, das Peter schwindlig machte.
»Die Kiste scheint Fehleingaben zu tolerieren«, sagte Lewandowski grinsend. »Da hat sich jemand wenig Mühe gemacht.«
»Woher wusstest du, dass er das kann?«, fragte Lisa-Marie mit einem erstaunten Blick auf Fluffy, der schon jetzt etliche hundert Kombinationen probiert hatte.
»Ich habe bei einer Besprechung mal eins von diesen Modellen tippen sehen, daher kam die Vermutung. Sie werden meist auf menschliches Maß gedrossel,t um uns nicht zu verunsichern, aber ihr Potential liegt weit höher.«
»Und wieso die 20er und 21er – Zahlen zuerst?«
Lewandowski grinste noch breiter. »Auch Genies müssen sich Passwörter merken. Wenn er schon zu faul war, eine ordentliche Passwort-Funktion zu bauen war er vielleicht auch zu faul für ein ordentliches Passwort. Bis jetzt ist übrigens laut Kameras keine Polizei in greifbarer Nähe.«
Nach ein paar weiteren Sekunden hielt Fluffy inne und sie hörten ein metallisches Klicken.
»Was war das Passwort, Fluffy?«, fragte Lewandowski, dann schüttelte er den Kopf. »Ach, ist eigentlich auch egal. Beeilen wir uns lieber.«
Langsam schwangen die Türen des Schrankes vor ihnen auf und ein großer Glaskasten fuhr heraus. Peter fluchte laut und drehte sich zu Lewandowski.
»Was haben wir denn noch alles übersehen? Es war nie die Rede davon, dass das Ding hinter Panzerglas ist. Wir haben nichts dafür hier, wir…«
Aber Lewandowski bedeutete ihm, zu Schweigen.
»Entspann dich. Die Uni spart noch immer wo sie kann. Das ist kein Panzerglas, sondern ein Schaukasten.« Er drückte gegen eine der Glaswände, die sogleich nach vorne schwang. Da lagen sie. Der Würfel, die Murmel und die Platine. Jetzt war es an Peter zu grinsen. »Dann machen wir mal, dass wir hier wegkommen«, sagte er. »Es läuft alles nach Plan weiter.« Die beiden anderen nickten. Er verstaute die Teile des M-Droid in seiner Tasche, gab Lisa-Marie einen flüchtigen Kuss und lief Richtung Ausgang. Da erklang hinter ihm eine Stimme.
»Halt! Hiermit verhafte ich sie wegen des Diebstahls von Regierungseigentums der Sicherheitsstufe F.«
Peter blickte sich um und rechnete für einen Augenblick mit einem Scherz von Lewandowski. Dann sah er die Waffe, die auf den Raum zwischen ihm und Lewandowski gerichtet war. Fluffy hatte den Finger am Abzug. Weit weg von jedem Scherz.
»Lauft!«, brüllte Peter, und alle drei machten zeitgleich Anstalten loszurennen. Ein Schuss fiel und Peter hörte, wie Lewandowski einen entsetzten Schrei ausstieß. Lewandowski betrachtete für einen kurzen Moment die Wunde in seiner Brust, als könnte er es nicht glauben, dann drehter er sich um und rannte mit Wutgebrüll auf Fluffy zu. Im Rennen riss er einen Gegenstand aus seiner Hosentasche. Dann stürzte er sich auf Fluffy, der nicht gleich reagierte. Peter sah, dass auch Lisa-Marie zögerte, er schrie sie an, dass sie abhauen solle. Endlich lief sie aus dem Raum. Peter rannte zu Lewandowski, der noch immer mit Fluffy rang. Trotz seiner Wunde kämpfte Lewandowski mit aller Kraft. Er hatte einen kurzen Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt, doch jetzt nutzte der Androide seine volle Stärke und drückte ihn zu Boden. Lewandowski streckte die Hand nach Peter aus. Er schien zu wissen, was folgen würde. Fluffy hielt seine Pistole an Lewandowskis Kopf. In diesem Moment erkannte Peter, dass die ausgestreckte Hand keine um Beistand flehende Geste war, Lewandowski wollte ihm etwas geben. Blitzschnell sprang Peter nach vorne, nahm ihm den kleinen Taser ab und presste ihn in Fluffys entblößten Nacken. In dem Moment, als er den Auslöser drückte, tat Fluffy dasselbe. Die beiden sackten zu einem regungslosen Haufen zusammen. Peter wusste augenblicklich, dass es für Lewandowski keine Hoffnung mehr gab, und er wusste auch, dass es jetzt um Sekunden ging. Er rannte nach draußen. Er hörte schnelle Schritte, drehte sich um und rannte so schnell er konnte in die entgegengesetzte Richtung. Es tat ihm unfassbar Leid um Lewandowski und darum, dass er ihn so liegen lassen musste, aber nochmal in den Knast zu gehen war keine Option. Im Rennen zog er sein Handy und drückte eine kurze Tastenfolge. Eine automatisierte Nachricht wurde an ihr gesamtes Team in und um den Campus gesendet, um den Rückzug anzukündigen. Plötzlich begannen überall Touristen aus Versehen vor Polizeiautos zu stolpern, die nicht anders konnten, als zu bremsen. Verwirrte Studenten blockierten die Eingangsbereiche und Durchgänge und erschwerten den Cops wo es nur ging die Arbeit. Das würden sie tun, bis Peter das nächste Signal absetzte. Ein stechender Schmerz fuhr durch sein Bein und er musste einen Schrei unterdrücken. An Rennen war nicht mehr zu denken. Wenige Meter entfernt war eine Sitzgruppe, auf der er sich kurz niederließ, um durchzuatmen. In diesem Augenblick waren erneut Schritte zu hören, doch er wusste, dass er sich nicht schnell genug verstecken konnte, also blieb er einfach sitzen und senkte den Blick auf sein Handy. Nur ein Tourist, der sich einen kurzen Überblick verschaffte. Zu seinem Glück rannten die vier Polizisten an ihm vorbei. Er biss die Zähne zusammen und raffte sich erneut auf. Nochmal würde er so viel Glück nicht haben. So humpelte er Gänge und Treppen entlang so gut es ging und schaffte es schließlich nach draußen, kurz bevor die Uni von der Polizei abgeriegelt wurde.

Eine gute Stunde später fand sich Peter mittlerweile etwas erholt am Potsdamer Platz ein. Auch hier war alles dicht gedrängt, die Feierlichkeiten waren gut besucht. Auf einer Bühne spielte eine Band ruhige Blues-Nummern. Alessio und Adamo hatten auf diesen öffentlichen Treffpunkt bestanden um nach der Übergabe leicht in der Menge untertauchen zu können. Peter zog sein Handy hervor, wählte eine Nummer und hielt es sich einen Moment ans Ohr. Dann nickte er  nur kurz, sagte aber nichts und steckte das Handy wieder ein. Ein Betrunkener rempelte ihn an und fragte ihn nach dem Weg zur Toilette. Als Peter auf das Schild über ihren Köpfen wies, klopfte ihm der Mann dankbar auf die Schulter und zog Leine. Peter drängte sich durch die Menschenmenge bis er die beiden Brüder sah, die erstaunlich fehl am Platz recht steif mitten in der belebten Menge standen und warteten. Peter stellte sich zu ihnen.
»Lief alles glatt?«, fragte Adamo.
»Lewandowski ist tot«, sagte Peter und sah einen Sekundenbruchteil ehrliches Erstaunen in Adamos Augen. »Auf der Flucht erschossen. Aber der Job hat geklappt.«
Bevor einer der Brüder irgendeinen halbgaren Kommentar dazu abgeben konnte zog Peter die drei Teile des M-Droid hervor und präsentierte sie den beiden. In der Sekunde, in der Adamo mit beiden Händen die Bauteile umfasste, schloss sich ein fester, metallischer Griff um sein Handgelenk. Plötzlich war die Menge um sie herum durchsetzt von Polizisten. Peter hörte die beiden Brüder laut fluchen während ihnen Handschellen angelegt wurden. Er drehte sich um und stellte beruhigt fest, dass die Cops sich an ihren Teil des Deals hielten. Er konnte unbehelligt davonhumpeln, während inmitten der dichten Menschenmenge zwei seit langem gesuchte Kriminelle kurz nacheinander zusammensackten. Von Tasern betäubt wurden sie von Polizisten weggebracht, aber das sah Peter schon nicht mehr. Er zog sein Handy aus der Tasche, schaltete es ab und ließ es auf den Boden fallen. Kaum jemand nahm Notiz, weder von ihm noch von der Festnahme.

Hinter verschlossenen Türen (8)

Hinter verschlossenen Türen – PDF

8.  Kapitel

Ein Stromstoß durchzuckte ihn und Peter fluchte leise. Er war nicht richtig bei der Sache.
»Okay, neuer Versuch.«
»Bist du bald fertig?«
Lisa-Marie wirkte gereizt. Das hier war nicht ihre Aufgabe, nicht ihre Welt. Sonst trat sie erst auf den Plan, wenn es für sie auch etwas zu tun gab. Aber seit Skinnys Tod waren sie gezwungen, eine Menge Pläne umzuwerfen. Auch Peter beschäftigte sich normalerweise, wenn er einen Job geplant hatte, nicht mit Kleinigkeiten wie diesen Sicherheitsschleusen. Das verstärkte seine Nervosität nur unnötig. Er zwang sich zur Ruhe und probierte es erneut. Langsam schob er die beiden Drahtenden in den Spalt, der die Code-Karten der Mitarbeiter aufnahm, die für eine Fingerabdruck-Identifizierung nicht wichtig genug waren. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um Studenten in Forschungsprojekten. Er und Lewandowski hatten den Aufbau der Schleusen lange studiert, bis ihnen diese Art von Überbrückung in den Sinn gekommen war. Doch der Spalt war dünn und Peter durfte nicht abrutschen, wenn er Stromschläge vermeiden wollte. Beim dritten Versuch klappte es endlich. An der Platine, die mit den Drähten verbunden war, leuchtete ein Lämpchen auf, dann öffnete sich mit einem leisen Surren die Schleuse. Danach war die zweite Schleuse ein Kinderspiel. Peter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Solche Aufgaben hatten bisher immer Skinny oder einer seiner Kollegen übernommen, doch auf die Schnelle war es nicht möglich gewesen, adäquaten Ersatz zu finden. Zuviel hatte ihm an Skinny gelegen. Er hinterließ als Freund und Kollege eine Lücke, die schwer zu füllen sein würde. Kein moderner Einstein, aber ein loyaler Mann, auf den man sich verlassen konnte. Der Doc hatte ihnen erklärt, dass ein Blutgerinnsel Schuld an Skinnys Tod gewesen sei. Hervorgerufen durch die Wunden, die Peters Plan verschuldet hatte. Er schob den Gedanken so weit weg wie möglich. Jetzt ging es um Konzentration. Er sah sich auf dem engen Korridor um und gab Lisa-Marie und Fluffy ein Zeichen. Sie liefen zur Eingangstür des Labors.
»Ist die Luft rein?«
Aus Gewohnheit presste er sich bei diesem letzten Satz einen Finger an den kleinen Knopf, den er im Ohr trug, auch wenn er wusste, dass das an der Qualität des Signals zwischen ihm und Lewandowski rein gar nichts änderte.
»Ja, weit und breit niemand in Sicht«, kommentierte Lewandowski die Bilder, die das Implantat vor seinem Auge ablaufen ließ. Er hatte Teile des Sicherheitssystems der Uni angezapft und las nicht nur die Bilder aus dem System aus, um nahende Personen zu erkennen, er überschrieb sie auch stetig, damit der Einbruch möglichst lange unentdeckt bleiben würde. »Ihr könnt rein. Vergiss nicht: 15 Minuten.«
Damit war die Leitung wieder still. Peter zog die Chipkarte hervor, die ihnen den Zugang zum allerheiligsten gewähren sollte. Sie rechneten mit einem Zeitfenster von 15 Minuten, bis der Wurm, der sich auf der Karte befand und die Tür öffnen sollte, entdeckt und identifiziert sein würde. 15 Minuten bis zum Eintreffen der Ordnungshüter. Er schob die Karte in den Spalt neben der Labortür und drückt seinen Daumen auf das Feld darüber. Das Feld wurde augenblicklich grün und er erwartete, dass sich die Labortür nun jede Sekunde öffnete. Stattdessen erlosch das Licht des Scanners ganz und die Tür blieb, wie sie war. Peter fluchte laut.
»Lewandowski, die Karte geht nicht. Die Tür hat sich abgeschaltet. Irgendwelche Ideen? Lewandowski?«
Es kam keine Antwort. Er wandte sich an Fluffy. »Der Funk ist ausgefallen. Versuch den Zugang zur Tür zu überbrücken, ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt.«
Er dachte darüber nach abzubrechen, aber eine zweite Chance würden sie nicht bekommen.
Fluffy trat an die Tür und versuchte einen Kontakt zu finden, mit dem er sich verbinden konnte. Während er noch dabei war, die Verkleidung des Sicherheitssystems abzulösen, näherten sich Schritte. Peter gab Lisa-Marie ein Zeichen sich an die Wand zu drücken. Er zog einen Taser aus der Tasche und ging in die Hocke, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Schmerz schoss durch sein Bein. Der Bruch verheilte nicht schnell genug. Der Plan für heute enthielt zu viele Schwachstellen, er hätte die Sache nach Skinnys Tod ganz abblasen sollen. Die Schritte wurden lauter. Jemand eilte in ihrer Richtung durch den Gang. Da bog Lewandowski um die Ecke.
»Was machst du hier?« Peter sah ihn verwirrt an.
»Der Funk ist gestört worden. Als ich gesehen habe, dass ihr mit der Karte nicht reinkommt, habe ich beschlossen einzugreifen.«
»Funktioniert das Implantat noch?«
»Ich denke schon. Im Moment sollte die Bahn frei sein.«
»Aber wenn man dich hier sieht«, begann Lisa-Marie.
»Wenn man mich bei dieser Nummer erwischt, ändern sich manche Pläne eben«, fiel Lewandowski ihr ins Wort. »Lass das mal meine Sorge sein.«

Einen Augenblick besah er sich Fluffys erfolgloses Treiben, dann winkte er ab und drückte die Verkleidung des Scanners wieder an ihren Platz.
»So wird das nichts«, sagte er, ohne einen von ihnen wirklich zu adressieren. Er schien laut nachzudenken. »Sie haben irgendwas am Zugang geändert, und das in letzter Minute. Es bleibt wohl keine Alternative.« Und bevor einer von ihnen ihn zurückhalten konnte, zog er eine schwarze Chipkarte aus seiner Tasche und schob sie in den Türöffner.
»Bis du vollkommen bescheuert?«, fuhr Peter ihn an. »Du kannst doch nicht deine eigene Karte nehmen.«
»Im Zweifelsfall ist mir meine Karte gestern geklaut worden. Aber da der zuständige Kollege nicht in den nächsten paar Minuten die restlichen Sicherheitssysteme im Raum deaktiviert, wird ein Alarm ausgelöst. Da hilft die offene Tür wenig. Also zurück zum Plan. Das Zeitfenster, bis jemand kontrollieren kommt, dürfte eher kleiner geworden sein. Und denkt dran: Ab jetzt kein Wort mehr!«
Die Tür zum Labor öffnete sich geräuschlos. Zum ersten Mal konnte Peter einen Blick in den Raum werfen, den er in den letzten Wochen so ausgiebig studiert hatte. Konstruktionspläne und Bilder von Überwachungskameras reichten zwar, um zu planen, aber sie vermittelten selten ein wirkliches Gefühl dafür, wie ein Raum wirkte. Er hatte sich das Labor kälter, steriler vorgestellt als den Anblick, der sich ihm nun bot. Die breiten Schränke, die alle vier Wände säumten hatten bunte Türen und Schubladen. Auf der Theke, die von der Mitte des Raumes nach rechts bis zur Wand führte, stand ein kleiner eingetopfter Kaktus, neben dem eine Schalttafel an der Wand in Gelb und Grün leuchtete. Das alles wurde von einem roten, seltsam indirekten Licht bestrahlt, das von den Lichtschranken am Boden ausging. Peter hatte sich nicht die Mühe gemacht, in Erfahrung zu bringen, wer diese Spielerei ursprünglich installiert hatte, aber sie hatte ihm einiges an Kopfzerbrechen bereitet, bis ihm die Lösung wie Schuppen von den Augen gefallen war. Die 20 Lichtschranken, die in dünnen roten Strahlen vom Boden bis zu einem guten Meter Höhe in unregelmäßigen Mustern umhertanzten, verhinderten gemeinsam mit den Wärmesensoren in Boden und Wänden ein unbefugtes Eindringen. Bei der Planung hatte nur niemand damit gerechnet, dass es möglich war, die Distanz bis zur Oberfläche der Theke im Sprung zu überwinden. Ohne Lisa-Marie wäre für sie der Zugang schlicht unmöglich gewesen. Und den Sender nachzubauen, mit dem das Sicherheitssystem deaktiviert werden konnte, hatte sich als Ding der Unmöglichkeit herausgestellt. Er war zu gut verschlüsselt und die Codes dafür nur dem Professor allein bekannt. In der hinteren linken Ecke des Raumes befand sich hinter einer der Schranktüren das Objekt ihrer Begierde. Doch bis dahin galt es noch ein paar Hürden zu nehmen. Solange das Sicherheitssystem angeschaltet war, durften sie nur über Handzeichen kommunizieren. Jedes Geräusch, das einen gewissen Pegel überstieg, würde ebenfalls einen Alarm auslösen. Peter und Lisa-Marie sahen sich an und wussten, dass sie in diesem Moment beide das Gleiche dachten. Wieder hing alles an ihr. Wieder mussten sie sich auf sie verlassen. Er spürte und sah ihre Anspannung und Versagensangst, die mit jeder Sekunde wuchs. Er brauchte einen Moment um die aufkeimenden Gedanken an seine Zeit im Gefängnis und all den Frust herunterzuschlucken. Er trat zu ihr und küsste sie. Nach einem kurzen Moment wandte sich Lisa-Marie ab und ging fünf Schritte von der Tür weg. Sie wartete noch einen Atemzug und sprintete los. Dann sprang sie.

Hinter verschlossenen Türen (7)

Hinter verschlossenen Türen – PDF

7.  Kapitel

»Bist du wütend auf mich?«
Es waren die ersten Worte, die Lisa-Marie sprach, seit sie allein waren. Peter ließ sie einen Augenblick auf sich wirken.
»Nein, ich glaube nicht.«
Peter trug jetzt eine schwarze Jogginghose und einen weinroten Pulli, die ihm der Doc gegeben hatte. Ihm war alles recht, solange es nicht mit Skinnys Blut befleckt war.
»Es tut mir so leid, was passiert ist. Das mit deinem Bruder auch.«
»Das war nicht deine Schuld.«
Er versuchte sie anzulächeln, doch die Muskeln seines Gesichts gehorchten ihm nicht. Heraus kam nur eine seltsame Grimasse. Natürlich war es ihre Schuld gewesen. Tausend Mal hatte er sich dieses Gespräch vorgestellt, sich gefragt, ob er diese Worte je von ihr hören würde. Sich unzählige kluge Sätze zurechtgelegt, mit denen er hätte antworten können. Aber jetzt, wo sie so verletzlich wirkte, wollte er sie plötzlich nicht mehr angreifen.
»Natürlich war es das, ich war…«, doch Peter erfuhr nicht mehr, was sie gewesen oder nicht gewesen war, denn in diesem Moment trat der Doc vor die Tür und sie verstummte augenblicklich. Sein Blick war schwer einzuschätzen. Ein intensiver Geruch nach Desinfektionsmittel ging von ihm aus.
»Ich denke, er ist erstmal über den Berg«, sagte der Doc dann mit einem Blick, der Peter verunsicherte. »Er hat viel Blut verloren und die Narbe dürfte nicht allzu hübsch aussehen, aber wenn es so gut weiterläuft, sollte er sich zeitnah erholen.«
»Vielleicht kann er die Narbe kosmetisch überarbeiten lassen, wenn er wieder fit ist«. sagte Lisa-Marie. Ihr schien nichts am Doc aufgefallen zu sein, vielleicht hatte Peter sich auch getäuscht.
Der Doc sah sie zweifelnd an. »Glaubst du nicht, dass das automatisch kontrolliert wird, wenn Leute mit so außergewöhnlichen Narben im Krankenhaus erscheinen? Ich kann das nämlich nicht machen und bei den Androiden wäre ich mit solchen Sachen vorsichtig. Ich denke, er wird in Zukunft eine gewisse Zuneigung für Rollkragenpullis entwickeln müssen.«
»Denkst du, er wird bis zum 03.Oktober wieder einsatzfähig sein?«, fragte Peter, der im Augenblick keinen Nerv hatte, sich Gedanken über die Ästhetik von Skinnys Hals zu machen.
Die grauen Augenbrauen des Docs hoben sich ein winziges Stück.
»3.Oktober also? Ich wusste doch, dass sie dich nicht aus purer Liebe wieder rausgeholt haben. Das sollte zu schaffen sein.«

Am nächsten Tag saß Peter wieder schick, aber unauffällig gekleidet auf einem Stuhl in einem kargen Konferenzraum eines Hotels in der Innenstadt. Peter hatte sich für eine kleine Crew entschieden. Im Raum waren nur er, Lisa-Marie, Lewandowski und ein schlaksiger, nervöser Typ namens Justus. Im Hintergrund saßen Alessio und Adamo und blickten ernst drein. Ihre Wiedersehensfreude gegenüber Lisa-Marie hatte sich wie bei Peter in Grenzen gehalten. Sie waren alles andere als zufrieden mit dem Risiko, das Peter für ihre Befreiung eingegangen war, aber das scherte ihn nicht. Viel mehr störte ihn, dass sie es sich nicht hatten nehmen lassen, bei dieser Besprechung dabei zu sein und darauf bestanden, den Ort für das Treffen zu wählen.
»Jeder von euch weiß ein bisschen was. Ich will heute dafür sorgen, dass ihr alle auf den neuesten Stand gebracht werdet. Wir haben eine Menge vor«, sagte Peter.
Augenblicklich richtete sich alle Aufmerksamkeit auf ihn. Er spürte ihre Anspannung. Nur Lewandowski kannte bisher den ganzen Plan. Als Auftraggeber hatten Alessio und Adamo zumindest eine grobe Vorstellung von dem, was kommen würde. Trotzdem konnten selbst sie nicht vollkommen ihre zur Schau gestellte Gleichgültigkeit bewahren, wie Peter aus dem Augenwinkel heraus amüsiert beobachtete. Adamo trommelte mit den Fingern einen unsteten Rhythmus auf die Tischplatte und Alessio hatte sich bei seinen Worten zu voller Größe aufgerichtet und blickte starr nach vorn.
Peter drückte eine Taste und ein Bild erschien hinter ihm auf der Wand. Darauf war ein kleiner komplett schwarzer Würfel zu erkennen. Darüber standen in einer schlichten Schrift die Worte »M-Droid. Die neue Generation Roboter.«
Der plumpe Werbesatz brachte ein Grinsen auf Lisa-Maries angespanntes Gesicht.
»Um diesen kleinen Roboter«, sagte Peter und zeigte in Richtung des Würfels, »geht es uns bei diesem Job.«
Er drückte eine weitere Taste. Neben dem Roboter tauchten eine schwarz glänzende Murmel und eine viereckige grüne Platine auf.
»Diese Bilder entstammen der offiziellen Präsentation zum M-Droid-Projekt, die nächsten Monat stattfinden soll.«
Die Präsentation hatte Lewandowski sogar auf legalem Wege besorgt. In den höheren Kreisen der Universität kursierten die Bilder seit Tagen, um das Interesse an dem Projekt zu schüren.
»Aber was ist das Besondere daran?«, fragte Justus stirnrunzelnd. »Androiden in der Form gibt es doch schon ewig.«
Peter lächelte. Der Junge mochte begabt sein, aber wie wichtig Zurückhaltung im entscheidenden Moment war, musste ihm die Zeit noch zeigen.
»Für diejenigen von euch, die ihn noch nicht kennen. Das ist Justus. Er wird für uns einige der technischen Probleme unserer kleinen Besichtigungstour in der Universität lösen. Deine Frage beantworte ich gleich«, fügte er dann an ihn gewandt hinzu, »lass mich vorher noch ein paar Kleinigkeiten los werden.«
Das nächste Bild zeigte eine Luftaufnahme der Universität. Peter deutete mit dem Finger auf eines der Gebäude. »Hier im ersten Stock befindet sich das gute Stück. Die ganze Nummer ist für den 03.Oktober geplant. Berlin feiert 200 Jahre Hauptstadt, dafür wird die Universität auch für Besucher geöffnet. Wir sollten relativ problemlos reinkommen. Danach wird es kritisch.«
Er blickte in ihre gespannten Gesichter, wohl wissend, dass Adamo und Alessio ebenso genau zuhörten wie sein voraussichtliches Team. Er wollte nicht, dass sie ihm ein weiteres Mal in die Pläne pfuschten und alles ruinierten, deshalb musste er sich vorsichtiger ausdrücken, als ihm lieb war.
»Wir müssen zuerst durch mehrere Sicherheitsschleusen. Unser Ziel ist ein Labor am Lehrstuhl für Neo-Robotik. Dort sperren, wenn niemand arbeitet, Lichtschranken und Wärmesensoren den Durchgang, das wird nicht ganz einfach. Der M-Droid-Prototyp ist derzeit hinter einer gesondert mit Strom versorgten Schleuse verborgen, die außerhalb der Arbeitszeiten in die Wand gefahren wird. Das Ganze hätte eigentlich eine Nummer einfacher ablaufen sollen, aber es gab einige Komplikationen. Eine undichte Stelle«, er warf einen vielsagenden Blick in den hinteren Teil des Raumes, »deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen mittlerweile sehr hoch. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Wenn das Ding in die Wand gefahren wird, können wir dann nicht von außen an die Wand ran, statt durch das ganze Gebäude?«, warf Lisa-Marie ein. Sie hatte seit ihrer Rückkehr in die Freiheit immer wieder versucht, den Plan aus ihm herauszukitzeln, aber er hatte sie stets auf heute vertröstet.
»Es ist leider keine Außenwand. Aber selbst wenn es so wäre: Die Außenwände im ganzen Gebäude sind mit Sensoren gepflastert, darüber kommen wir nicht rein.«
Lisa-Marie verzog den Mund, sagte aber nichts dazu.
Erneut meldete sich Justus zu Wort: »Können wir diese ganzen Sicherheitsschleusen nicht einfach überbrücken? Die muss man doch irgendwie anzapfen können. Dann muss nur einer rein, sich den Droiden schnappen und wieder raus«
»Ein paar Vermutungen darüber, dass irgendwas in der Uni geplant ist, sind schon durchgesickert«, antwortete Peter und schüttelte den Kopf, »deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Wir werden vor Ort sein müssen, sonst kriegen wir keinen Zugang. Die Nummer wird kein Spaziergang.« Peter fuhr fort.
»Wir haben sehr viele Leute da draußen, die Daten für uns gesammelt haben und uns auch weiterhin zur Verfügung stehen. Fluchtwege freihalten und uns im Notfall alarmieren können. Beim Hauptteil der Arbeit können wir uns aber auf niemanden sonst verlassen. Skinny wird für die Schleusen zuständig sein, Justus für die Technik und Lisa-Marie und ich für die praktischen Arbeiten. Lewandowski wird sich im Hintergrund halten, um nicht von Kollegen oder Studenten erkannt zu werden. Er greift nur ein, wenn es unbedingt notwendig ist.«
Alessio und Adamo blickten ihn finster an. Sie schienen bisher noch nicht allzu zufrieden mit den vagen Andeutungen, die er gemacht hatte. Sie hatten selbstverständlich mehr Details erwartet. Peter gab sich alle Mühe, das nach außen hin nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Aber kommen wir zum interessanten Teil«, er zeigte auf die Leinwand und schaltete ein Bild zurück. »Der Gewinn, den wir bei Erfolg rausschlagen können, wird 50 / 50 zwischen uns auf der einen und unseren Auftraggebern auf der anderen Seite aufgeteilt. Es gibt einen Interessenten, der bereit ist, 50 Millionen für alle drei Teile zusammen auszugeben. Das sollte eine Weile reichen.«
Lisa-Marie konnte ihr Erstaunen über die Summe besser überspielen als Justus, der pfeifend Luft ausstieß.
»Um deine Frage zu beantworten, Justus, das Besondere an diesem Androiden und der Grund, warum er so viel einbringt und dermaßen unter Verschluss gehalten wird, ist nicht die Form, die du hier auf dem Bild siehst. Das was hier einfach so nach einem Würfel aussieht, besteht aus einer Vielzahl kleiner Bausteine, die sich beliebig anordnen lassen.« Justus schien noch immer nicht zu begreifen. »Der Roboter kann sein Aussehen fast beliebig verändern«, fuhr Peter fort. »In Verbindung mit einer leistungsstarken, winzigen Kamera und der besten künstlichen Intelligenz, die es je gegeben hat«, er deutete auf den Mikrochip, »macht das den M-Droid unglaublich einsatzfähig. Nach dem zu urteilen, was wir wissen und was die Ankündigungen erwarten lassen, dürfte es mit dieser künstlichen Intelligenz möglich sein an so gut wie jeder Form des Passwortschutzes vorbeizukommen, wenn man sie richtig einsetzt.«
Alle schwiegen sie für einen Augenblick, während die Worte nachwirkten. Jeder von ihnen dachte im Stillen über mögliche Einsatzgebiete einer solchen Technologie nach. Peter wartete auf Rückfragen, doch die blieben erstmal aus. Er wechselte einen schnellen Blick mit Lewandowski, dann sagte er abrupt: »Ich denke, das wär‘s für heute. Alles weitere besprechen wir dann während des Jobs.«
Bis auf Lewandowski wirkten sie alle irritiert.
»Was soll das?«, polterte Alessios dunkle Stimme einen Augenblick später los. Peter blickte die beiden Brüder ruhig an.
»Gibt es irgendein Problem?«
Schon zum zweiten Mal in den letzten Minuten spürte er sein Handy in der Tasche vibrieren, aber es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Telefonate.
»Wir finanzieren den Job, wir haben dich beauftragt«, sagte Adamo gereizt.
Alessio schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Wir haben ein verdammtes Recht darauf, alle Details zu wissen.« Sein Kopf war vor Wut rot gefärbt.
»Ich kann nicht behaupten, dass es mir beim letzten Mal viel gebracht hätte, dass alle über alles informiert waren«, sagte Peter kalt und ließ seinen Blick nicht von den beiden Brüdern ab. »Deswegen wird es dieses Mal anders laufen.«
Die beiden Brüder beschimpften ihn noch ein paar Minuten, doch Peter reagierte nicht darauf, er stand einfach ruhig da. Als keinerlei Reaktion kam, warfen sie Peter noch einen finsteren Blick zu und verließen verärgert den Raum.
Er sah Justus an. »Dein Einsatz, Junge.«
Der zog aus seiner Tasche ein winziges Gerät, klappte es auf und begann damit in großen Schritten das Zimmer abzulaufen und es immer wieder kurz gegen die Wand zu halten. Als Justus fertig war, winkte Peter Lewandowski zu sich heran und ließ sich dessen Laptop zeigen. Ein Programm darauf, das dieser schon zu ihrer Studienzeit geschrieben hatte, zeigte jedes noch so kleine elektrische Gerät in der Umgebung an, und die Strahlung, die von ihm ausging. Damit konnten Wanzen und sonstige Funksignale gut im Blick behalten werden. Der Verlauf der letzten Minuten zeigte ein stetiges Abflachen der Signale an, bis statt Wanzen nur noch ihre Telefone und Computer schemenhaft als Signalquellen hier im Raum dargestellt wurden.
»Gut, Alessio und Adamo trauen mir nicht. Soweit keine Überraschungen.«
»Ich hab dir doch gesagt, der Junge ist gut«, sagte Lewandowski mit einem Nicken in Richtung Justus.
Lewandowski hatte ihm Justus erst ein paar Stunden zuvor vorgestellt. Es war einer seiner Mitarbeiter. Technisch versiert, außergewöhnlich begabt und nicht allzu engstirnig, was seine Auslegung von Gesetzen, Recht und Ordnung anging.
»Hattest du denn damit gerechnet, dass sie uns abhören?«, fragte Lisa-Marie, die nun auch an seinen Tisch gekommen war, um sich anzuschauen, was hier gespielt wurde. Justus hielt sich im Hintergrund und wirkte zufrieden, dass er seinen ersten kleinen Auftrag mit Bravour erfüllt hatte. Ihm war nicht viel Zeit geblieben eine Möglichkeit zu finden, schnell und zuverlässig Wanzen auszuschalten, nachdem ihn Lewandowski heute Morgen informiert hatte.
»Ich war mir sicher«, sagte Peter lächelnd, »und auch, dass sie die erste Gelegenheit nutzen würden, um sich aus dem Staub zu machen, damit wir unter uns sind. Aber kommen wir endlich zu den Details des Plans.«
Lewandowski hatte in der Zwischenzeit etwas auf seinem Handy gelesen. Sein ernster, ungläubiger Gesichtsausdruck ließ Peter aufmerken. Dann sagte Lewandowski mit tonloser Stimme:
»Ich glaube, du musst den Plan umschreiben.« Er schluckte.
»Skinny ist tot«.

Hinter verschlossenen Türen (6)

Einen wunderschönen guten Abend,

es wird mal wieder Zeit für einen neuen Teil von „Hinter verschlossenen Türen“. So langsam erkämpft sich die Story mehr Raum als ich eigentlich für sie vorgesehen hatte, aber es macht einfach Spaß sie zu schreiben. Über Rückmeldungen dazu freue ich mich natürlich wie immer sehr. Bald kommen auch wieder neue Gedichte, neue Auftrittstermine und Infos über die Veröffentlichungen für 2013 hier auf dem Blog. Man darf gespannt sein.
Ich wünsche ein schönes Wochenende,

Fühlt euch gegrüßt,
Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

6.  Kapitel

Sie stürmten beinahe gleichzeitig um die Ecke und hin zur Tür. Lisa-Marie lag bewusstlos am Boden. Peter wollte zu ihr hin, doch eine Hand packte ihn an der Schulter und hielt ihn an Ort und Stelle.
»Was?«, entfuhr es ihm, während er sich mit verständnislosem Blick umdrehte.
Lewandowski sah ihn mit ernster Miene an und schüttelte leicht den Kopf ohne etwas zu sagen. Peter drehte sich zurück. Sofort wurde ihm klar, warum Lewandowski ihn zurückgehalten hatte. Lisa-Marie lag noch immer auf der anderen Seite der Tür. Der Versuch zu ihr zu gelangen hätte ihn ebenfalls zu Boden gestreckt, nur auf dieser Seite. Er spürte, wie es in ihm loderte. Wie sehr er Lisa-Marie beschützen wollte. Er musste sich zusammenreißen.
»Wo ist der Cop hin?«, hörte er Lewandowskis raue Stimme fragen. Als Peter keine Anstalten machte, erneut loszustürmen, lockerte sich der Griff an seiner Schulter. Er sah sich nach allen Seiten um.
»Er bringt erstmal den Gefangenen in die Zelle, vermute ich. Wahrscheinlich kommt er danach zurück oder… «
»Oder er ruft gerade Verstärkung«, beendete Lewandowski den Satz für ihn.
»Sag Skinny Bescheid – Plan B«, sagte Peter mit Blick zu Lewandowski. Der ließ ihn los und drehte sich weg. Im Gehen zog er sein Handy aus der Hosentasche.
Lewandowski musste sich aus dem Schussfeld begeben. Unter anderen Umständen hätte Peter ihn gerne an seiner Seite gehabt, samt all seiner Gadgets und elektronischen Spielereien. Aber wenn der Android zurückkehrte und sie Lisa-Marie befreiten, konnte es sein, dass der es dabei schaffte, Lewandowski zu identifizieren. Das konnte ihre Pläne für den dritten Oktober ruinieren.
Während Lewandowski sich entfernte, blieb Peter an der Tür stehen. Er vergewisserte sich, dass die beiden von Fluffy betäubten Androiden noch immer stillstanden und versuchte seinen Blutdruck niedrig zu halten. Er merkte, wie sehr ihm die Routine der Jobs nach der Zeit im Knast fehlte.

»Fluffy?«
Er sagte es leise, unsicher, ob sich dieser in der Nähe befand. Sofort lugte der Kopf des Androiden um die Ecke und sah ihn an. Er hatte neben Lisa-Marie gewartet.
»Wenn ich dir ein Signal gebe, trägst du sie hinaus. Bring sie zu mir dort rüber. Es sollte funktionieren. Sie darf auf keinen Fall verletzt werden, in Ordnung?«
Fluffy nickte, zog seine Pistole aus dem Holster am Gürtel und hob die bewusstlose Frau auf seine Arme. Der andere Cop war noch nicht zurückgekommen, es konnte sich nur um Minuten handeln.
Peter zog sein Handy aus dem Gürtel und rief Lewandowski an. Mittlerweile musste er in seinem Pick-up angekommen sein. Im besten Fall war er bereits dabei sich einzuloggen.
Peter hatte sich heute morgen von Fluffy die Zugangscodes für das Netz des Gefängnisses geholt und sie Lewandowski geschickt, für Notfälle. Hoffentlich schaffte der es, damit die Durchgangssperre wenigstens für ein paar Sekunden zu deaktivieren.
»Ich bin dran«, meldete sich Lewandowski.
»Hast du Skinny erreicht?«
»Der ist auf dem Weg. Sein Auto steht drei Blocks entfernt, das müsste zu schaffen sein.«
In diesem Augenblick erklangen die Sirenen. Nicht in der Ferne, sondern viel zu nah.
»Hast du… «, setzte Peter an, Lewandowski unterbrach ihn sofort.
»Ja, hab ich gehört. Ich muss mich beeilen, wenn sie erstmal den Rechner hier als nicht-staatlich identifiziert haben, werden sie mich augenblicklich aus dem Netz werfen. Es kann nicht mehr lange dauern.«
Seine Stimme klang gepresst und angespannt. Im Hintergrund erklang das ununterbrochene Klackern von Tasten.
Peter versuchte, die Richtung zu identifizieren, aus der die Sirenen kamen. Wenn er sich nicht irrte, dann von links aus Richtung Innenstadt. Er zog sich mit einem letzten Blick auf Fluffy, der die noch immer bewusstlose Lisa-Marie auf seinen Armen hielt, hinter die andere Hausecke zurück.
»Ich hab‘s«, rief Lewandowski. Die Euphorie war deutlich zu hören. »Jetzt oder nie!«
»Verwisch deine Spuren«, raunte Peter. In diesem Augenblick bogen die Polizeiwagen um die Ecke. Der Erste kam kurz vor der Tür zum Gefängnis zum Stehen, der Zweite mit quietschenden Reifen dahinter. Sicher waren noch mehr im Anmarsch.
»Fluffy, jetzt!«, rief Peter so laut er konnte und sah, dass Fluffy loslief und es durch die Tür schaffte. Ein Schuss fiel und der Android stolperte. Peter hielt das silberne Kreuz an seinem Hals umklammert und versuchte ruhig zu bleiben und zu begreifen, was passiert war. Der Schuss war nicht aus Richtung der Polizeiwagen gekommen. Es musste der Android gewesen sein, der Polizist, der vorhin einen Gefangenen hier eingeliefert hatte.
Peter sah vor seinem geistigen Auge, wie Fluffy hinfiel, wie Lisa-Marie von Kugeln übersät auf dem Boden aufschlug. Sah, wie er selbst um sein Leben rannte. Doch der Android lief weiter, als wäre nichts passiert, obwohl ihn die Kugel getroffen haben musste. Dabei schützte er noch mit seinem Körper den von Lisa-Marie. Kaum zu glauben. Wo blieb Skinny nur?
»Wir brauchen mehr Zeit!«, schrie Peter ins Handy.
»Okay, okay. Wenn ich den Code hier richtig einschätze, kann ich dir ein bisschen Zeit verschaffen.«
Mehr Klackern folgte, schneller als zuvor. Die Cops stiegen aus ihren Autos, nicht sicher, wie sie reagieren sollten. Es gab kein klares Programm für diese Situation. Aus ihrer Sicht feuerte ein Polizist im Inneren des Gefängnisses auf einen anderen außerhalb, der eine leblose Frau trug. Sie alle hatten ihre Waffen gezogen, doch bisher schoss keiner. Auch Fluffy war clever genug, keine Schüsse abzugeben.
»Okay, jetzt musst du nur den Gefangenen mitteilen, dass sie frei sind.«
Lewandowski sagte das ganz lapidar, als sei es nichts Weltbewegendes.
»Ich mach mich vom Acker, sonst hab ich hier auch gleich Besuch. Viel Erfolg!«
Peter überlegte einen Moment was er tun sollte, dann holte er tief Luft und rief: »Ihr seid frei! Lauft, so schnell ihr könnt!«
Blitzschnell zog er sich wieder ganz aus dem Sichtfeld der Cops zurück.
Für einen Moment schien nichts zu passieren, dann hörte er, wie hinter der Mauer jemand etwas von Freiheit schrie. Wie ein Lauffeuer ging der Ruf von Zelle zu Zelle. Peter wagte einen Blick um die Hausecke, im selben Moment peitschte ihm ein Schuss entgegen, der ihn nur knapp verfehlte. Er wusste nicht, ob er ihm oder Fluffy gegolten hatte, der jetzt in seine Richtung unterwegs war.
Peter hörte Lewandowski eine Querstraße entfernt wegfahren. Nein, er konnte das nicht sein, das Motorengeräusch kam auf ihn zu. Das war Skinny. Er hatte es endlich geschafft, seinen fahrbaren Untersatz herzubringen. Wieder ein Schuss, dann mehrere Schüsse in ihre Richtung. Immer wieder feuerte Fluffy jetzt nach hinten und schützte Lisa-Marie mit seiner Schulter. Gleich würden die Gefangenen beginnen, aus der Tür zu strömen.
Skinny riss das Steuer herum und kam mit einer Drehung schleudernd wenige Meter nach der Häuserecke zum Stehen. Erneut peitschten Schüsse. Peter betätigte den Auslöser in seiner Hosentasche. Die Explosion zerriss das schwarze Tape, das sie an der Tür angebracht hatten. Ein letzter Hauch von Ablenkung.
»Da rein!«, rief er Fluffy zu, der sofort begriff, was ablief und Lisa-Marie auf den Rücksitz bugsierte. Sie war gerade dabei, das Bewusstsein wiederzuerlangen und wehrte sich instinktiv gegen die mechanische Behandlung. Zum Glück schaffte er es, auch wenn sie vermutlich blaue Flecken davon tragen würde. Peter schmiss sich auf den Beifahrersitz, spürte ein unangenehmes Knirschen, als er auf dem Sitz aufkam, und rief laut: »Fahr los!«
Nichts passierte. Er drehte sich zu Skinny um und sein Magen vollführte einen Salto. Er hatte angenommen, Skinnys sicheres Auto, mit dem er so gern prahlte, wäre komplett kugelsicher, offensichtlich galt das jedoch nur für die Front- und Heckscheibe. Eine Kugel hatte bei seinem Wendemanöver das Seitenfenster durchschlagen und ihm den halben Hals aufgerissen. Die Menge an Blut, die aus der klaffenden Wunde strömte, ließ Peter würgen. Skinny rührte sich nicht. Jetzt blieb keine Zeit für nähere Untersuchungen, nicht mal für ein stummes Gebet. Die Polizisten kamen näher, Kugeln flogen ihnen um die Ohren. Die Glasscherben auf denen er saß machten das Ganze nicht angenehmer. So schnell er konnte, zog er ein Bein über die Mittelkonsole. Er schob Skinnys ein wenig zur Seite und trat mit dem linken Fuß das Gaspedal durch. Er überwand die Abscheu, die ihn bei der Berührung von Skinnys leblosen Händen überkam, griff ins Lenkrad und schaffte es knapp, nicht direkt in die nächste Hauswand zu donnern. Hinter ihm ertönte ein entsetzter Aufschrei, dann eine brüchige Stimme, die fragte: »Was ist passiert?«
Lisa-Marie war endgültig aufgewacht und hatte Skinnys Wunde bemerkt.
»Lass uns erstmal aus der Schusslinie kommen«, sagte Peter nervös, während er in die Seitenstraße einbog, aus der eben noch Skinny quietschlebendig erschienen war, um sie hier rauszuholen. So eine Scheiße.
Der letzte Blick zurück, bevor sie außer Sichtweite der Tür gewesen waren, hatte ihm gezeigt, dass es zwar immer mehr Autos der Bullen wurden, aber nur eines Anstalten machte, ihnen zu folgen. Mittlerweile drangen die ersten Gefangenen durch das Tor in die Freiheit und viele der Polizisten wandten sich diesem deutlich größeren Problem zu. Peter jagte die rote Schrottkiste so schnell sie konnte durch Berlins Innenstadt. Peter sah in den Rückspiegel, sie gewannen Abstand gegenüber dem Auto der Cops. Nicht weit vor ihm tauchte rechter Hand das Haus auf, in dem er sich die letzten Tage versteckt hatte. Unbewusst hatte er die ursprünglich geplante Route genommen, doch er fuhr weiter, um nicht auf das sichere Haus aufmerksam zu machen. Warum schalteten die Cops ihr Blaulicht nicht an? Um nicht zu viele Blicke auf sich zu ziehen?
Die Verfolgungsjagd ging nur wenige Minuten, in denen der Abstand zwischen ihnen immer größer wurde. Jetzt gaben die Polizisten auf und ließen sich zurückfallen. War ihr Auto defekt oder wirklich so langsam? In dem Augenblick hörte er ein leises Röcheln, dann ein Husten direkt neben sich. Vielleicht hatte Skinny doch noch eine Chance.
Peter atmete auf und wandte sich an seine Ex-Freundin.
»Weißt du die Nummer vom Doc noch?«
»Ja, wieso?«
Er zog sein Handy aus der Tasche und warf es ihr nach hinten.
»Sag ihm, dass wir ihm in zehn Minuten einen Besuch abstatten und dass er die Garage öffnen soll. Ich will keine unnötige Aufmerksamkeit.«
»Als ob wir da jetzt nicht schon genug von hätten«, seufzte Lisa-Marie leise.

Hinter verschlossenen Türen (5)

Einen wunderschönen guten Tag,

es hat lange gedauert, aber was lange währt wird hoffentlich gut. Hier kommt der neue Teil der Erzählung „Hinter verschlossenen Türen“ und bis zum nächsten sollte es bei weitem nicht so lange dauern. Es war ein aufregendes und herausragendes Jahr für mich, voller Höhen und mit angenehm wenig Tiefen, meinem zweiten Gedichtband, meinem Roman-Debüt, außergewöhnlich schönen Auftritten und vielen Menschen, die das Ganze sehr sehr großartig gemacht haben. Dankeschön an alle, die meine Texte lesen, meine Bücher kaufen oder zu den Auftritten kommen, das alles ist mir wirklich eine große Freude. Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins Jahr 2013 und ein schönes Sylvester!

Mit den allerbesten Grüßen
Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

5.  Kapitel

Auf dem Heimweg hingen sie beide schweigend ihren Gedanken nach. Ein paar Straßen entfernt hörte man die Polizeisirenen. Die Schlägerei war sicher noch in vollem Gange. Peter dachte darüber nach, was Lewandowski als Letztes gesagt hatte. Nicht, dass es ihm nicht auch schon durch den Kopf gegangen war. Es gab niemanden, der auf ihrem Gebiet besser war als Lisa-Marie. Sie hatte zwischen ihrem vierzehnten und zweiundzwanzigsten Lebensjahr in acht verschiedenen Disziplinen den Titel des deutschen Meisters oder Vizemeisters geholt, darunter Judo, Kickboxen, Siebenkampf und noch mehr Arten der Leichtathletik. Sie hatte ihm letztes Jahr die Medaillen und Trophäen bei sich zuhause gezeigt, kurz, nachdem sie angefangen hatten, sich auch außerhalb der Arbeit zu sehen. Wären sie bei einer professionellen Distanz geblieben, dann wäre alles anders gekommen. Seit ihrem letzten gemeinsamen Job hatte es keinen Tag gegeben, an dem er das nicht bereut hatte. Ein Moment des Zögerns im falschen Augenblick und alles war zunichte gewesen. Es hatte ihn wütend auf sie gemacht, in düsteren Stunden sogar hasserfüllt, aber er wusste, dass er nicht auf Lisa-Marie sauer sein sollte. Sie hatte einen Fehler gemacht, gut, aber die Planung hatten Alessio und Adamo versaut. Sie waren es, die die falschen Entscheidungen getroffen hatten. Sie waren es, auf die er sich konzentrieren musste. Bei ihrem Treffen früher an diesem Abend hatte er versucht mit den beiden darüber zu reden. Was er sagen wollte, stand ihm schon lange fest vor Augen.
»Wir machen es nach meinen Regeln«, hatte Peter gesagt. Ernst und nicht bereit, einen Millimeter davon abzuweichen. »Ihr habt ja bei der Sache mit Sony gesehen was passiert, wenn ihr die Pläne ohne mich zu fragen ändert.«
Adamo hatte zögernd zugestimmt, aber versucht, die Fehler bei der Planung ihres letzten Jobs herunterzuspielen. Er hatte sich darauf konzentriert, Peter den neuen Job zu erklären und die Umgebung. Peter war immer noch wütend darüber, dass sich keiner der beiden bei ihm entschuldigt oder auch nur den leisesten Anflug von Reue gezeigt hatten. Mit einem Achselzucken waren sie über das Thema seiner Gefangenschaft hinweggegangen. Und jetzt arbeitete er schon wieder für sie. Aber diesen letzten Job für die Beiden musste er einfach machen, für seinen Ruf und auch um wieder an Geld zu kommen. Danach war immer noch genug Zeit für Gerechtigkeit.
»Wenn wir sie rausholen wollen, müssen wir es bald tun. Es ist nicht viel Zeit bis zum 3.Oktober und nach deinem Ausbruch werden die Sicherheitsbedingungen im Knast bald schärfer werden«, sagte Lewandowski nachdenklich und riss Peter damit aus seinen düsteren Gedanken.
»Du hast recht.« Peter wusste, dass es keinen anderen Weg gab, wenn ihnen dieses Spiel gelingen wollte. »Ich brauche zwei Tage und möglicherweise einiges an Ausrüstung.«
»Meld dich bei mir wenn du einen detaillierten Plan hast«, antwortete Lewandowski. »An Ausrüstung kann ich dir alles besorgen, was der Markt hergibt.« Lewandowski war zuversichtlich, dass sie das schaffen würden. Mit Peter in Freiheit standen wieder ganz andere Möglichkeiten offen. An der Ecke Lukasstraße verabschiedeten sie sich und umarmten sich für einen Moment.
»Ich freu mich wirklich, dass du wieder da bist«, sagte Lewandowski noch, dann ging er davon. Peter sah ihm nach, wie er im steten, bläulich-kalten Licht der Straßenlaternen heimwärts ging. Aufrecht und in seinem Maßanzug gut gekleidet wie eh und je. Er war sich nicht sicher, ob es gut war, was sie vorhatten. Im eigenen Areal zu wildern war eine gefährliche Sache und wenn rauskam, dass Lewandowski damit etwas zu tun hatte, würde er nicht nur sein Geld und seinen Besitz, sondern auch seinen Ruf verlieren und Peter wusste nicht, was davon am schwersten wiegen würde.
In diesem Moment fiel in den Tiefen seines Gehirns ein Steinchen an seinen wohlverdienten Platz und ein weiteres Detail seines Gespräches am Abend kam ihm in den Sinn. »Warte mal kurz!«
Lewandowski drehte sich um und Peter schloss zu ihm auf. »Alessio meinte, du könntest mir noch was darüber erzählen, warum die letzten Tage so viel Trubel war. Was ist schiefgegangen bei den Vorbereitungen?«

Die nächsten 48 Stunden schlief Peter kaum. Er saß die meiste Zeit am Schreibtisch im Obergeschoss des Hauses, das er jetzt vorübergehend bewohnte. Er studierte Baupläne und Skizzen und machte sich Gedanken, wie der Job am besten gemacht werden konnte und wie Lisa-Marie am sichersten aus dem Knast zu holen war. Die Neuigkeiten, die Lewandowski ihm noch in der Nacht in aller Kürze erzählt hatte, waren besorgniserregend. Toni, ein Mitarbeiter der Uni, der für Adamo oder für irgendeinen Stellvertreter des Stellvertreters eines Untergebenen von ihm ein bisschen Drecksarbeit hatte erledigen sollen, hatte wohl Eins und Eins korrekt addiert und all seine Informationen über Alessio und Adamo an die Cops gegeben, in der Hoffnung, das Kopfgeld für die beiden zu kassieren und sein weiteres Dasein als reicher Mann zu fristen. Obwohl er nicht allzu viel wusste und obwohl Alessio und Adamo sich zeitnah und deutlich bei ihm bedankt hatten, hatten die Infos Staub aufgewirbelt. Egal ob es ein hochrangiger Mitarbeiter der Uni oder die gesammelte Datenverarbeitungsmaschinerie bei der Polizei gewesen war, irgendjemand war auf den Trichter gekommen, dass in nächster Zeit ein Coup gegenüber der Universität geplant sein dürfte. Daraufhin war der Schutz aller wertvollen Technik an der Universität bedeutend erhöht worden. Im Gegensatz zu früheren Jobs konnte er bei der Planung dieser Aktion auch nicht so frei agieren. Alle Daten, die er nicht im Netz fand, musste Skinny beschaffen, weil er sich – Großfahndung sei Dank – nur selten bei Tageslicht draußen sehen lassen konnte. Die Kameras auf allen öffentlichen Plätzen, in den Taxen, Bussen und Bahnen waren zweifellos mit seinen biometrischen Daten gefüttert und würden ihn in Windeseile identifizieren, sobald sein Gesicht zu sehen war. Nur nachts konnte er sich auch auf größeren Straßen relativ gefahrlos bewegen. Doch selbst unter diesen erschwerten Bedingungen kam er voran. Mittlerweile hatte er gemeinsam mit Lewandowski ausführlich Fluffy untersucht. Sie hatten keinerlei Signal gefunden, das von dem Roboter ausging, also würden sie ihn weiter benutzen. Im Idealfall würde er Lisas Befreiung so unkompliziert machen, wie seine gewesen war. Mittlerweile wurde es merklich heller an seinem Schreibtisch. Draußen ging tatsächlich schon wieder die Sonne auf. Montagmorgen. Peter zog sein neues Prepaid-Handy aus der Tasche und rief Lewandowski an. Im Gegensatz zu ihm selbst war Lewandowski nicht immer noch, sondern schon wieder wach. Peter nannte ihm den Treffpunkt und zählte die nötige Ausrüstung für Lisa-Maries Befreiung auf, dann beendete er das Telefonat. Zeit, schlafen zu gehen. Zu faul sich ins Schlafzimmer zu schleppen, streckte er sich einfach auf dem kleinen braunen Ledersofa aus und gab endlich der Erschöpfung in seinem Körper nach. In dem Augenblick, in dem sein Kopf die Polster berührte war er auch schon eingeschlafen.
Wach wurde er erst, als sich langsam wieder Dunkelheit über Berlin legte. Skinny berührte ihn an der Schulter und er schreckte auf.
»Alles fertig?«, fragte Skinny.
Peter nickte müde und musste sich konzentrieren, um nicht sofort wieder einzuschlafen.
»Mach mir bitte einen Kaffee, ich bin gleich unten.« Er sah auf seine Uhr. »Wir haben noch genug Zeit.«
Zehn Minuten später verließen sie das Haus. Trotz der lauen Sommernacht trug Peter einen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze. Er wollte kein Risiko eingehen. Eine Querstraße vor dem Gefängnis trafen sie sich mit Lewandowski, der mit seinem schwarzen Pick-Up gekommen war. Auf der Rückbank lag Fluffy, abgedeckt mit einem Tuch.
»Kommt mit«, sagte Peter, nachdem er den Androiden aktiviert hatte. Alle zusammen näherten sie sich dem Eingang des Gefängnisses. Peter blickte um die Ecke und hielt abrupt inne.
»Das hatte ich befürchtet«, sagte er und wandte sich mit ernstem Blick um. »Sie haben Wachen vor dem Gefängnis postiert. Zwei Androiden, ich vermute schwere Bewaffnung.«
»Hast du den Taser dabei?«, fragte er in Lewandowskis Richtung. Dieser zog aus seiner Tasche ein winziges schwarzes Gerät, nicht größer als ein Feuerzeug, das zwei kleine Zacken auf der Oberseite hatte. Peter zupfte Fluffys Uniform zurecht, so dass sie vernünftig saß, und reichte ihm dann den Taser.
»Wenn du an den Wachen vorbei bist, halte ihnen nacheinander das hier ins Genick und drücke den Knopf da unten. Dadurch sind sie handlungsunfähig und stören nicht weiter. Dann bring Lisa-Marie den Zettel in ihre Zelle und nimm sie mit bis zur Tür. Alles weitere besprechen wir dann.«
Er schob ihm ein kleines Kuvert in die Tasche. Der Android nickte und marschierte augenblicklich los.
»Das nenne ich mal ne Arbeitseinstellung«, sagte Lewandowski während Fluffy um die Ecke verschwand. »Wir sollten uns mehr von denen besorgen, dann wären die Jobs ein Kinderspiel.«
Skinny lachte leise, doch Peter war viel zu angespannt um daran irgendwas witzig zu finden. Er lugte um die Ecke, froh, dass die beiden Wachen noch stur geradeaus sahen. Hoffentlich hatten sie ihre Wärmebildkameras nicht standardmäßig an, sonst konnten sie hier leicht Probleme kriegen. Als Fluffy sich den Wachen weiter näherte blickten sie zu ihm, Peter hielt für einen Augenblick den Atem an. Doch die Wachen drehten sich kommentarlos zurück an ihre Plätze, ganz wie er gehofft hatte.
»Ich dachte Taser funktionieren nicht bei den Blechkisten«, sagte Skinny hinter ihm.
»Das ist kein einfacher Taser«, antwortete ihm Lewandowski leise. Er überlegte, wie er es in Worte packen konnte, die jemand wie Skinny verstand. »Für die handelsüblichen Varianten sind die Androiden kaum empfindlich. Den hier habe ich vor ein paar Jahren entwickelt. Er sendet einen elektromagnetischen Puls, der die Androiden lahmlegt, sie gehen nicht vom Netz, aber sie senden und empfangen nicht mehr und sind damit keine Gefahr. Das Problem ist, das Ganze funktioniert bisher nur an den dünnsten Stellen ihres Panzers, den Gelenken, und es ist nicht gerade leicht einen von denen da zu treffen. Da hat es unser neuer Freund vermutlich leichter als wir.«
Peter hörte nur mit einem halben Ohr zu, er betrachtete weiter Fluffy, der nun hinter den Wachen war. Mit zwei blitzschnellen Bewegungen brachte er den kleinen Taser in die entsprechenden Positionen und machte die Wachen kampfunfähig. Der Junge war echt Gold wert. Die beiden Wachen blieben stocksteif stehen und regten sich nicht mehr. Allein ihre mangelnde Reaktion auf die schnellen Bewegungen von Fluffy versicherten Peter, dass es geklappt hatte. Sollte irgendjemand hier vorbeilaufen, würde er kaum eine Veränderung bemerken, dennoch hoffte Peter inständig, dass sie keine Schaulustigen anlocken würden. Selbstgefilmte Videos davon wie sie Lisa-Marie halfen aus dem Knast auszubrechen fehlten ihm gerade noch zu seinem Glück.
»Es hat geklappt. Weiter geht‘s!«, sagte Peter halb nach hinten gedreht und unterbrach damit Lewandowski, der gerade versuchte, Skinny irgendeinen technischen Kunstgriff zu erklären, der für die Entwicklung des Tasers extrem wichtig gewesen war. Peter hatte durch die Krücken keine Hand frei und war froh, dass er Skinny und Lewandowski dabei hatte, die mühelos das bisschen Ausrüstung tragen konnten.
Fluffy war bereits verschwunden und es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die dunkle Holztür wieder öffnete. Da war Lisa-Marie leibhaftig in denselben schlichten Klamotten, in denen Peter sie damals an seiner Zelle hatte vorbeigehen sehen. Sein Herz schlug heftig in der Brust, er spürte die Aufregung. Einsam in seiner Zelle hatte er nie etwas anderes als Wut auf sie gespürt, aber jetzt nahm er auch wieder wahr, wie sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte.
»Bleib stehen«, sagte Lewandowski. Lisa-Marie stoppte mitten in der Bewegung und sah ihn irritiert an. »Du kannst hier nicht so ohne weiteres durch.«
»Hi erstmal«, sagte sie in einem Ton, von dem sich Peter nicht sicher war, ob er herablassend gemeint war oder ob sie einfach nur die Situation nicht einschätzen konnte.
»Hi«, sagte Peter mit einem Krächzen im Hals. Für einen winzigen Augenblick trafen sich ihre Blicke, dann blickte sie weg und sah stattdessen Lewandowski an.
»Aber ihr habt mich doch sicher nicht nur bis hierher bestellt, um kurz zu plaudern und dann wieder zu gehen, oder? Kann ich mich nicht einfach wieder an dem netten Cop hier festhalten?« Sie deutete auf Fluffy.
Peter, der seine Sprache langsam wiederfand, ergriff das Wort.
»Das geht nicht, dagegen ist der Durchgang gesichert, aber wir haben einen Plan und wenn nichts schief geht, bist du in wenigen Minuten hier draußen.«
Lisa-Marie blickte weiter stur zu Lewandowski, als würde sie sich mit ihm unterhalten.
»Und wie ist der Plan?«
»Bring zur Sicherheit noch das Tape an, man weiß ja nie«, sagte Peter an Lewandowski gewandt. Lewandowski nickte und machte sich daran, eine Rolle mit einer Art schwarzem Klebeband außen am Türrahmen anzukleben, das auf dem schwarz lackierten Grund kaum auffiel.
Peter sah auf die Uhr.
»Bis jetzt passt das Timing perfekt. Skinny, du zündest pünktlich um 21:05 Uhr, dann sollte alles so klappen wie bei mir«, sagte er entschlossen.
»Alles klar, Chef«, antwortete Skinny und machte sich vom Acker.
»Kann mir mal jemand erklären, was ihr vorhabt?« Lisa-Maries Stimme hatte einen zickigen Ton angenommen. Das hat man davon, wenn man versucht jemanden aus dem Knast zu holen, dachte Peter. Kein Stück Dankbarkeit. Aber was konnte man schon erwarten? In kurzen Worten erklärte er Lisa-Marie die nächsten Schritte im Plan und bedeutete ihr, in Deckung zu gehen. Dann zog er sich gemeinsam mit Lewandowski  zurück, um den Androiden nicht durch eine Bewegung abzulenken. Hinter der Hausecke sahen sie sich erwartungsvoll an. Noch zwei Minuten verblieben. Dann war es nur noch eine.
Die Explosion hinter dem Haus zündete pünktlich um fünf nach und im selben Augenblick hörten sie aus Richtung des Eingangs einen spitzen Schrei. Die Stimme klang weiblich.
Peter warf Lewandowski einen ernsten Blick zu.
»Ich hab da ein ganz mieses Gefühl.«

Hinter verschlossenen Türen (4)

Einen wunderschönen guten Tag,

hier kommt der vierte Teil meiner neuen Erzählung, diesmal allerdings vorerst nur im PDF-Format. Wenn weitere Formate (speziell Ebooks) gewünscht sind, schreibt mir eine kurze Mail oder einen Kommentar, das lässt sich machen.
Ich wünsche euch viel Vergnügen damit,

Mit den allerbesten Grüßen
Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

4.  Kapitel

Peter betrat die Küche und blieb einen Moment stehen. Sein Blick schweifte durch den Raum, während er in tiefen Zügen ein- und ausatmete und die Stille genoss. Nicht dass es ihm im Gefängnis daran gemangelt hätte, doch diese hier war eine andere. Egal wie viele Androiden gerade das ganze Land nach ihm absuchen mochten, er war in Freiheit und konnte endlich wieder selbst über seine Zeit und seinen Umgang entscheiden. Wen er traf und mit wem er sprach, zumindest weitgehend. Die letzten Stunden waren viele Leute hier im Haus gewesen. Zuerst hatte er den Doc herbestellt und sein Bein schienen lassen. Der Doc hatte darauf bestanden, dass der Bruch dringend eingegipst werden musste, aber für sowas hatte Peter keinen Nerv. Er würde das Bein schonen so lange es ging, aber seine ersten Wochen in Freiheit würde er sicher nicht mit Gips am Bein im Krankenbett verbringen. Als der Doc gegangen war, hatte er Skinny losgeschickt um ihm Krücken zu besorgen und währenddessen hatte wohl die Nachricht seines Ausbruchs in seinem alten Wirkungskreis die Runde gemacht. Skinny war schon immer eine Plaudertasche gewesen, aber wenigstens wusste er, mit wem er plaudern konnte und mit wem nicht. Einige von Peters früheren Weggefährten hatten ihm die Aufwartung gemacht, natürlich alle ohne Informationen für ihn, über das was gerade so ablief, sehr diskret und irgendwie auch sehr distanziert. Sie hatten es nur nicht glauben können, dass der Ausbruch tatsächlich geglückt war, die erste Flucht aus einem Gefängnis dieser Größenordnung seit Jahrzehnten. Bei dem Gedanken an all das geschäftige Treiben ging es Peter durch den Kopf, wie absurd es war, dass der Großteil der Menschen tatsächlich draußen in dem Glauben herumlief, dass auf dieser Welt außerhalb der Universitäten niemand mehr arbeitete. Absurd, dass die Welt jenseits der Legalität so vollkommen aus allen Medien herausgehalten wurde. Keine Berichte, keine öffentlichen Daten. Die perfekte Illusion. Jetzt wurde es draußen langsam dunkel und der Besucherstrom im Haus war endlich abgeebbt. Zeit, Alessio und Adamo zu treffen und endlich zu hören, was für ein Coup das war, wegen dem sie ihn rausgeholt hatten. Er machte sich nicht die Illusion, zu glauben, dass sie ihn aus Nächstenliebe befreit hatten, oder weil sie seine Arbeit schätzten. Sie kannten sowas wie Treue nur soweit sie ihren Zielen diente. Die beiden würden sogar einander ohne mit der Wimper zu zucken die Köpfe abhacken, wenn es ausreichend von Nutzen wäre, dessen war er sich sicher. In ein paar Minuten würde Skinny runter kommen und ihn zu den beiden fahren. Er wusste jetzt schon, dass es ihm viel abverlangen würde, nicht aus der Haut zu fahren. Ihnen nicht all das an den Kopf zu werfen, dass ihm in der Zeit im Knast durch den Kopf gegangen war. Es war nicht seine Schuld gewesen, dass er dort eingesperrt gewesen war, sondern ihre. Und dafür, für diese endlosen Tage und Wochen die ihm gestohlen worden waren, gab es kein Verzeihen.
Sein Blick fiel auf den Brief, der auf der Ablage über dem halboffenen Geschirrspüler lag. War der an ihn gerichtet? Peter überflog ihn. Ein gewisser Micha offenbarte seinen Eltern seine Krebserkrankung und seinen Plan zu sterben. Was hatte es mit diesem Brief auf sich? Warum lag er hier einfach so herum?
»Sind spurlos verschwunden die beiden.«
Peter erschrak, als eine Stimme plötzlich dicht hinter ihm sprach, und drehte sich um.
»Was meinst du?«
»Die Eltern von diesem Micha. Denen hat das Haus hier gehört. Sie müssen es, kurz nachdem der Brief kam, Hals über Kopf verlassen haben und sind nicht zurückgekommen. Einer von unseren Leuten, der hier normalerweise für den Park zuständig ist, hat was mitbekommen und wir nutzen das Haus jetzt für unsere Zwecke, ohne dass die Behörden was mitbekommen.«
»Können die beiden nicht jeden Augenblick zurückkommen?«
»Soweit ich von Alessio erfahren habe, steht das Haus jetzt schon eine Weile leer und von den Besitzern fehlt jede Spur. Er denkt nicht, dass sie zurückkommen. Schätze mal, sie haben es ihrem Sohn gleichgetan.«
Peter verzog das Gesicht.
»Kein schöner Gedanke, in dem Haus von Toten unterzukommen.«
Skinny machte eine wegwerfende Handbewegung und drehte sich zur Tür.
»Hatte ganz vergessen, dass du da ein bisschen zimperlich bist. Sind ja nicht hier gestorben, wenn sie überhaupt krepiert sind. Jetzt komm, deine Krücken stehen im Flur«, er grinste schief. »Unsere Herren und Meister erwarten dich.«

Die Luft war vom Rauch der Zigarren so diesig, dass man sie kaum noch atmen konnte. Peter schwenkte sein Whiskey-Glas langsam in seiner Hand und betrachtete den Mann, der sich gerade auf dem Stuhl ihm gegenüber niedergelassen hatte. Die Narbe am Kinn war neu, die Koteletten ein wenig länger als bei ihrem letzten Treffen. Hatte er schon immer so tiefe Geheimratsecken gehabt? Lewandowskis kantigem Gesicht sah man seine Intelligenz nicht an, er wirkte auf den ersten Blick wie einer der Halbaffen, mit denen sich Alessio und Adamo zu ihrem Schutz umgaben. Lewandowski dagegen war schon immer einer der cleversten Menschen gewesen, die Peter kannte. Sie hatten eine Weile zusammen studiert, bis Peter hingeschmissen hatte um sich den Dingen zu widmen, die ihm wirklich lagen. Lewandowski war der einzige den er kannte, der es schaffte, auf beiden Seiten zu spielen. Angesehener Dozent und Autor von unzähligen Artikeln und diversen wissenschaftlichen Büchern, und gleichzeitig einer der hellsten Köpfe was die Planung und Durchführung von Verbrechen im ganzen Land anging. Peter mochte den besseren Ruf haben und Lewandowski hatte nie Ambitionen gezeigt, ihn vom Thron zu stoßen, aber sie beide wussten, wer der Klügere von ihnen war.
»Ich passe.«
»All-In.«
Die Männer am Tisch hinter ihnen pokerten. Zu laut für Peters Geschmack. Die restlichen Männer und Frauen an den Tischen des kleinen Hinterzimmers warfen immer wieder genervte Blicke zur Pokerrunde.
»Du siehst älter aus«, sagte Lewandowski, der Peter musterte. »Ich hätte erwartet, dass das Gefängnis für dich ganz erholsam sein dürfte.«
»Wo kommt denn die Narbe an deinem Kinn her?«, entgegnete Peter, ohne auf das Gesagte einzugehen. »Hat dich deine Frau wieder verprügelt?«
Ein flüchtiges Grinsen huschte über Lewandowskis Gesicht. Er hatte Peter vermisst. Zeit, zum Thema zu kommen.
»Wie war das Treffen mit Alessio? Alles im grünen Bereich zwischen euch?«
Peters Miene wurde einen Tick ernster, aber er hatte seine Gesichtszüge gut im Griff.
»War schon okay. Er hat mir erzählt was sie planen und wofür sie mich brauchen. Findest du es nicht ein bisschen krass in deinem eigenen Institut zu stehlen? Gab es da nicht mal einen Satz, dass man nicht da aufs Klo geht, wo man isst oder so ähnlich?«
Lewandowski machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wir gehen da ja auch nicht mit meiner ID rein und bitten sie freundlich, uns den Scheiß auszuhändigen. Deswegen habe ich Alessio und Adamo auch gesagt, dass ich die Aktion nicht leiten werde.«
»Und mich damit vermutlich aus dem Knast geholt.« Peter prostete seinem Gegenüber zu und trank aus.
Wenige Augenblicke später kam ein kleiner, verbeulter und an Armen und Oberkörper bereits stark angerosteter Roboter mit einer Flasche zum Tisch und schenkte ihm nach.
»War ein guter Nebeneffekt«, redete Lewandowski weiter. »Auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass sie es schaffen. Ich wüsste gerne, wo Alessio den Androiden herhatte, der dafür benutzt wurde. Wir müssen mal noch sicherstellen, dass der nicht nach Hause telefonieren kann, falls geplant ist, ihn weiter einzusetzen. Aber egal. Hast du schon Pläne, wie du die Sache in der Uni angehen willst? Und vor allem wann?«
»Das mit dem Wann ist einfach. Am 3.Oktober.«
Auf Lewandowskis vielsagenden Gesichtsausdruck erwiderte er: »Ich weiß, es ist knapp. War Alessios Idee, aber ich halte sie ausnahmsweise für ziemlich gut. Und zum Wie habe ich zumindest eine grobe Idee.«
Jetzt war es an ihm zu Grinsen.
»Funktioniert dein Implantat noch?«
Lewandowskis Blick war für einen Moment erstaunt, dann wurde er nachdenklich.
»Ich hab es ewig nicht benutzt, aber es sollte alles funktionieren. Es ist halt schon relativ alt.«
»Weiß jemand in der Uni davon?«
»Nein. Die Operation war illegal, das kann ich dort niemandem sagen, auch wenn es für die Forschung natürlich von Interesse wäre.«
»Wieso sind die Dinger eigentlich verboten?«
»Ich weiß es nicht genau, die Akten dazu sind unter Verschluss. Alles was ich mitbekommen habe war, dass in den 2030er Jahren eine Zeit lang damit ziemlich viel Schindluder getrieben wurde. Manipulation und Betrug, daraufhin wurden sie als gefährlich eingestuft und vom Markt genommen.«
»Und wie stellst du dir meine Aufgabe bei der ganzen Nummer vor? Was soll ich mit meinem Implantat machen?«
Am Tisch hinter ihnen knallte einer der Männer seine Karten auf den Tisch und fing an schallend zu lachen. Die darauf folgende stark alkoholisierte Diskussion wurde so laut, dass Peter sich zu Lewandowski hinüber lehnen musste, um die Antwort nicht brüllen zu müssen.
In knappen Worten erklärte er Lewandowski seinen Plan.
Am Schluss blickte dieser ihn ernst an. »Klar kann ich den Überblick behalten, Polizei und alles andere auch, aber für die Nummer drinnen brauchen wir Lisa-Marie oder jemanden, der genauso gut, genauso schnell und genauso flexibel ist.«
Er warf Peter einen forschenden Blick zu.
»Ich weiß. Und wir können uns nicht zu viele Mitwisser leisten. Aber selbst wenn wir sie aus dem Knast kriegen, dürfte das kein Spaß mit ihr werden.«
Die Diskussion der Pokerrunde hinter ihnen war kurz davor, in eine handfeste Kneipenschlägerei auszuarten.
»Wenn die noch mehr Lärm machen kommen bald die Cops und machen den Laden für immer dicht.«, sagte Peter.
Einer der Männer sprang auf und ließ blitzschnell ein Messer aufschnappen. Er drückte es dem, der eben noch so laut gelacht hatte an die Kehle:
»Zeig mal, was du da im Ärmel hast.«
Der Gefragte versuchte noch seinen Arm wegzuziehen, doch der Mann mit dem Messer griff zu und zog eine Spielkarte hervor. Die beiden brüllten aufeinander ein.
»Ich glaube es wird Zeit zu gehen«, sagte Lewandowski.

Hinter verschlossenen Türen (3)

Guten Tag allerseits,

es hat eine Woche länger gedauert als erhofft, aber hier ist der neue Teil meiner Erzählung „Hinter verschlossenen Türen“. Ich wünsche euch viel Spaß damit, sobald ich absehen kann wieviel Teile es insgesamt werden, schreibe ich Release-Dates hier auf den Blog und werde dann mein möglichstes tun, mich auch an diese zu halten.

Bis dahin viel Vergnügen und eine schöne Zeit,
Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

3.  Kapitel

Ein kurzer, heftiger Schmerz durchzuckte seine Hand. Er unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei und wich zurück. Er sah, wie Fluffy sich nach ihm umdrehte. Ein fragender Blick stand auf dem Gesicht des Androiden. Warum konnte er nicht durch die Tür? Der Weg aus seiner Zelle war kein Problem gewesen. Er hatte sich an die Anweisungen auf dem Zettel gehalten, die Hand auf den Roboter gelegt und war von ihm ohne Probleme durch das elektrische Feld geführt worden. Auch die Eingangstür, der Weg hinaus in die freie Welt, hatte sich problemlos vor ihnen geöffnet, aber er konnte aus irgendeinem Grund das elektrische Feld nicht passieren. Er zog sich ein wenig zurück, damit er von außen nicht mehr sofort gesehen werden konnte, wie er hier vor der Tür stand.
»Hat diese Tür irgendeinen gesonderten Schutz?«
Fluffy registrierte, dass die Frage an ihn gerichtet war, und kam zurück durch die Tür.
»Positiv. Menschen benötigen eine zusätzliche Genehmigung um diese Tür in irgendeine Richtung zu passieren, die von der Steuerzentrale ausgehen muss.«
Zum tausendsten Mal fragte er sich, warum man diese Soldaten-ähnliche Sprache bei den Polizei-Robotern beibehalten hatte. Alle anderen Androiden benutzten doch auch völlig normale Sätze. Peter ermahnte sich selbst, sich auf das eigentliche Problem zu konzentrieren.
»Hast du eine Genehmigung für mich?«
»Negativ. Ich habe keinen Zugang zum Netz. Da ich ihn wiederholt nicht herstellen konnte, gehe ich davon aus, dass mein Chipsatz defekt ist und ausgetauscht werden muss.«
Peter massierte sich mit zwei Fingern die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen. Er musste nachdenken. Dieser Roboter hier schien deutlich bereitwilliger Auskunft zu erteilen, als es Fluffy in der Zelle stets getan hatte. Er sah fast genauso aus und schien genug Wissen zu haben. Derjenige, der den Zettel in seine Zelle geschickt hatte, hatte definitiv gewusst, was er tat. Soweit Peter wusste, hatte es immer als unmöglich gegolten, Polizei-Roboter zu manipulieren.
»Gibt es Sondergenehmigungen? Umstände, unter denen du mich hier auch so rauslassen kannst?«
»Negativ.«
Peter schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. So kurz davor. Nicht mal ein halber Meter trennte ihn von der Freiheit.
»Kann die Tür verschiedene Menschen unterscheiden? Oder kriegt sie nur die Genehmigung für irgendeinen Menschen?«
»Negativ. Die Genehmigungen werden nach Anzahl der Menschen in bestimmten Zeitfenstern vergeben. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass wir die richtigen Personen nach drinnen und draussen eskortieren.
Braver Fluffy. Zumindest ein kleiner Funken Hoffnung, nicht mehr als ein Glimmen.
»Ok, wann ist die nächste Entlassung?«
»Nach den letzten Aktualisierungen, die ich herunterladen konnte ist die nächste Entlassung in einem Jahr, zwei Monaten, drei Tagen und weniger als drei Stunden. Thomas Arnold Wesseldorf. Strafe: Drei Jahre wegen mehrfachen Diebstahls und …«
»Schon gut, mehr muss ich nicht wissen.«
Eine lange Pause trat ein, seine Hand spielte nervös und hektisch mit dem Silberkreuz.
»Neuer? Hörst du mich?«
Die Stimme kam von draußen. Dieses Schnarren kannte er.
»Skinny? Kannst du mich hier rausholen?«
Peter trat einen Schritt in Richtung der geöffneten Tür. Da stand er tatsächlich und leibhaftig, abgemagert wie eh und je. Er hielt ein kleines Tablet in seiner rechten Hand und sah mit ernstem Blick abwechselnd zu Peter und auf den Bildschirm.
»Ich arbeite dran, auch wenn mir langsam die Ideen ausgehen. Ich kann nicht auf diese Tür zugreifen, um sie zu manipulieren.«
»Ist von den anderen jemand da?«, fragte Peter in der Hoffnung, dass von denen möglicherweise jemand eine Idee haben könnte. »Vielleicht Lewandowski?«
Skinny lachte kurz auf.
»Dem Hundesohn würde ich es sogar zutrauen, diese Tür zu knacken, aber im Moment sind alle beschäftigt. Irgendwas ist bei den Vorbereitungen schiefgegangen.«
»Vorbereitungen für was?« Trotz seiner aktuellen Lage konnte Peter sich die Frage nicht verkneifen.
»Erzähl ich dir, wenn du draußen bist. Ich befürchte fast, wir müssen zu Plan B übergehen.«
»Was ist Plan B?«, fragte Peter, doch Skinny schien ihn nicht zu hören. Er war in seinen Computer vertieft und drückte hektisch darauf herum.
»Du solltest vielleicht von der Tür zurücktreten.«
»Was verdammt nochmal ist Plan B?«, schrie Peter ihn an. Ihm schwante nichts Gutes.
Skinny grinste schief.
»Ein Sprengsatz. Groß genug, um diese Tür und ein gutes Stück Mauer aus dem Weg zu räumen. Der Countdown läuft. 30 Sekunden. Wir sollten uns jetzt von der Tür zurückziehen    .«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Wieso? Ich hol dich hier raus, keine Sorge. Das klappt schon.«
»Ein Idiot mit einer Bombe, tolle Mischung«, murmelte Peter vor sich hin. Dann rief er Skinny zu: »Du jagst uns sämtliche Hundertschaften auf den Hals, die die Cops zu bieten haben, wenn du hier irgendwas in die Luft jagst. Und  denkst du nicht, dass die Wände des größten Gefängnisses der Stadt gegen Sprengsätze geschützt sind?«
Skinny wurde bleich, soweit sein Teint das zuließ, dann begann er hektisch auf seinem kleinen Computer herumzuhämmern. Dieser hatte gerade begonnen im Sekundentakt Pieptöne von sich zu geben. Peter ging ein paar Schritte zurück. Wenn die Sprengladung zündete würde er sich samt Fluffy in seine Zelle zurückziehen, bevor die Androiden in Uniform hier aufmarschierten. Nach ein paar weiteren Sekunden verstummte das Piepen und Peter lief langsam wieder zur Tür.
»Das nächste Mal denkst du erst nach, dann fragst du mich und dann tust du irgendwas, okay?«, sagte er.
Skinny wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Aber«, sagte Peter, »immerhin hast du mich auf eine Idee gebracht mit deinem Sprengsatz.« Er wandte sich um. »Fluffy, komm mal bitte her.« Der Roboter brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass er gemeint war. »Ich habe noch ein paar Fragen.«

Eine knappe Stunde später kauerte Peter neben der Tür zu Füßen des Androiden und wartete gespannt. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Fluffy die Anzahl der heute eintreffenden Gefangenen samt Ankunftszeitpunkten in Erfahrung gebracht hatte, doch jetzt musste es jeden Augenblick soweit sein. Da er nicht wusste, ob der Roboter der den Gefangenen brachte, mit Wärmebildkameras ausgestattet sein würde, versuchte er zum einen Fluffy als Hindernis vor sich zu haben und sich zum anderen möglichst nicht zu bewegen. Peter hörte Schritte vor der Tür. Er spannte jeden Muskel im Körper an. Ein falscher Tritt, eine Sekunde Zögern und er würde vermutlich nie wieder die Sonne sehen. Es musste einfach klappen. Die Tür schwang auf. Der Roboter kam rückwärts hindurch und war gerade dabei, den Gefangenen hinter sich herzuziehen, der sich offenbar immer noch nach Leibeskräften gegen seine Verhaftung wehrte. In diesem Augenblick bebte der Boden unter ihnen. Der Knall der Explosion war ohrenbetäubend und Peter brauchte all seine Konzentration, um sich nicht die Ohren zuzuhalten. Der Roboter und sein Gefangener blieben beide ruhig stehen und sahen sich nach allen Seiten um, um die Herkunft des Knalls zu ergründen. Skinnys Timing war perfekt. In diesem Moment hielt sich Peter an dem Roboter fest und sprang durch die Tür nach draußen ins Freie. Er sprintete zur Seite weg und sah sich dabei kurz um. Fluffy war dicht hinter ihm. Der Roboter an der Tür hatte keine Hand frei, um zu schießen. Er hielt mit viel Mühe den Gefangenen, der wohl seine Chance auf Flucht gewittert hatte und nun wieder nach Leibeskräften versuchte, sich aus dem Griff seines Wärters zu winden. Peter drehte den Kopf gerade noch rechtzeitig nach vorne um das Loch im Asphalt zu sehen, doch es reichte nicht mehr um auszuweichen. Er hörte ein lautes Knacken während er der Länge nach hinschlug. Ein lauter Aufschrei ertönte. Erst nach ein paar Sekunden wurde ihm klar, dass er es war, der schrie. Er richtete sich wieder auf und lief so schnell er konnte weiter. Tränen füllten seine Augen vor Schmerz, doch er musste weiterlaufen, bei jedem Schritt einen weiteren Schrei unterdrückend. Wie schnell konnte der Wärter Verstärkung rufen? Peter hoffte, er hatte gesehen, dass Fluffy Uniform trug und hinter Peter herrannte und das als Versuch interpretiert, den Gefangenen wieder einzuholen.
Als er außer Sicht des Gefängnisses war, wurde er langsamer. Er bat Fluffy ihn zu stützen und gemeinsam schafften sie es in kürzester Zeit bis zu dem Haus, das Skinny ihm beschrieben hatte. Dort am Gartenzaun lehnte er jetzt auch, mindestens genauso außer Puste wie Peter selbst.
»Hat alles gut geklappt wie ich sehe«, sagte er. Dann fiel sein Blick auf Peters Bein. »Was ist denn da passiert?«
Peter schüttelte den Kopf. »Nichts, was der Doc nicht wieder hinbekommt. Wir rufen ihn nachher, jetzt lass uns reingehen, es kann nicht lange dauern, bis sie eine Großfahndung nach mir einleiten.«
Während er mit Fluffys Hilfe ins Haus humpelte, dachte er an die Gesichter der Gefangenen, als er heute an ihren Zellen vorbeigelaufen war. Manche entsetzt, manche voller Hoffnung, aber die meisten einfach unbeeindruckt. Sie hatten aufgegeben im tristen Alltag des Gefängnisses. Er musste um jeden Preis vermeiden, wieder dort zu landen.

Hinter verschlossenen Türen (2)

Einen wunderschönen guten Abend,

ich habe mich sehr über die Reaktionen zum ersten Teil der neuen Erzählung gefreut. Dieses Mal gibt es eine Premiere: Zum ersten Mal ist der aktuelle Stand der Geschichte auch als Ebook im MOBI-Format verfügbar. Falls noch andere Formate gewünscht werden, schreibt mir einen Kommentar oder eine E-Mail. Der nächste Teil soll wieder in ca. 2 Wochen erscheinen, also um den 10.September herum. Ich wünsche euch allen eine angenehme Woche

Fühlt euch gegrüßt,

Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

2.  Kapitel

Toni war ein kleiner Fisch. Ein Handlanger, der keine wichtige Rolle spielte, und kaum jemals vertrauliche Informationen besaß. Bis man innerhalb der Hierarchie zu den Leuten gelangte, die wichtig waren, musste man von Toni aus viele Ebenen nach oben klettern. Kaum einem der so weit unten stand wurde je die Ehre zu teil, einen der beiden Köpfe der Organisation – die Brüder Adamo und Alessio – zu treffen. Doch ihm war diese Ehre heute gewährt worden und er war alles andere als glücklich darüber. Zumindest hatte er Adamos Umrisse gesehen und dessen Stimme gehört, die ihm aus dem Halbdunkel heraus Fragen gestellt hatte. Eine einzelne Glühbirne beleuchtete flackernd die Stelle, an der Toni zu stehen hatte. Es würde sich nicht lohnen, nun Tonis Aussehen und Gestalt näher zu beschreiben. Nicht weil er so ein kleiner Fisch war, der Grund dafür ist von einfacherer Natur.
Mit einem kräftigen Ruck zog Alessio das lange, gezackte Messer mit dem silbernen, eingravierten Adler im Griff wieder aus Tonis Rücken. Während dieser zu Boden ging erklang aus seinen Lungen ein letzter, erstickter Schrei. Für einen Augenblick herrschte im Raum vollkommene Ruhe. Dann trat Adamo in den Schein der Lampe und wandte sich mit ernstem Blick an die Zuschauer, die die letzten Minuten an den Wänden aufgereiht schweigend verfolgt hatten.
»So wird es jedem ergehen, der versucht mich oder meinen Bruder ans Messer zu liefern. Ich weiß, dass das Kopfgeld auf uns beträchtlich ist, umso besser müsst ihr eure Leute im Auge behalten.« Schweißperlen standen auf seiner Glatze, der 3-Tage-Bart und die Augenringe ließen ihn müde wirken, doch seine braunen Augen waren hellwach und trotz des schwachen Lichts hatte jeder im Raum das Gefühl, dass Adamos durchdringender Blick besonders lange auf ihm ruhte.
»Es ist kein großer Schaden entstanden. Er hatte keine Informationen, die unser Unternehmen hätten ernsthaft gefährden können, aber sie werden an der Universität jetzt umso wachsamer sein. Jeder hält sich penibel an meine Anweisungen, dann könnt ihr alle in wenigen Wochen mit deutlich besser gefüllten Taschen nach Hause gehen.«
Es klopfte an der Tür. Die Blicke der Anwesenden wanderten zur Tür, besorgt, es könnte eine Horde Polizei-Roboter davor stehen. Alessio war der einzige im Raum der seinen Bruder gut genug kannte, als dass er bei seinem Anblick erkannt hätte wie er bei dem Geräusch für einen winzigen Moment seine Selbstbeherrschung verlor und zusammenzuckte. Ein Zeichen davon, wie sehr die letzten Wochen an seinen Kräften gezehrt hatten. Doch auch er blickte in Richtung Tür.
Der Mann der eintrat sah keineswegs aus wie ein Polizei-Roboter. Dank des wenigen Lichts im Raum waren nur seine Umrisse zu sehen. Er sah abgemagert aus, wirkte aber nicht schwach oder gebrechlich.
»Skinny, du kommst genau richtig«, ergriff Adamo wieder das Wort. »Warte kurz. Wir sind hier gleich fertig.«
Damit wandte er sich wieder an den Rest seiner Vertrauten. »Die Aktion wird kompliziert, möglicherweise komplizierter als alles, was wir je gemacht haben. Also passt auf was ihr tut, was ihr sagt und mit wem ihr sprecht. Haltet euch an die Anweisungen. Wenn es Probleme gibt, sagt mir oder Alessio Bescheid. Es darf nicht noch mehr Fehler geben.« Er warf Tonis sterblichen Überresten einen abschätzigen Blick zu. »Ihr könnt gehen, und nehmt diesen Typen mit.«

»Denkst du, dieser Toni kann uns Probleme machen?«
Sie saßen in einem kleinen Konferenzraum im selben Gebäude. Skinny hatte gegenüber den beiden Brüdern Platz genommen und nachdenklich sein Kinn auf die Hand gestützt. Bei Licht war sein vernarbtes, mageres Gesicht kein angenehmer Anblick. Alessio antwortete ihm: »Ich denke, er wusste kaum etwas und hat versucht zu bluffen um das Kopfgeld zu bekommen. Die Cops hätten aus ihm aber auf jeden Fall die Namen seiner Kontakte herausbekommen können, wenn sie es nicht schon getan haben.« Seine schnarrende Stimme strahlte nicht die Souveränität und Autorität aus, die der ruhige Bariton seines Bruders verbreiten konnte. »Wir mussten ein Exempel sstatuieren. Vielleicht haben wir die Zügel in den vergangenen Monaten ein bisschen zu locker gelassen. Ohne Peter gab es nicht viel zu tun.«
»Womit wir auch beim Thema wären«, schaltete sich Adamo ein. »Du musst Peter aus dem Knast holen, ohne ihn schaffen wir es nicht.«
Skinny zog die Augenbrauen hoch. »Euch ist aber bewusst, dass es seit bestimmt 50 Jahren keinen Ausbruch gegeben hat, oder? Nicht, dass es nicht versucht worden wäre. Und selbst wenn wir es irgendwie schaffen, haben wir in kürzester Zeit drei oder vier Hundertschaften am Arsch kleben. Ihr müsst ganz schön verzweifelt sein.«
»Wir sind nicht verzweifelt«, zischte Alessio. »Glaubst du, wir haben all das nicht bedacht? Glaubst du wir wissen nicht selbst, was das für ein Risiko ist?«
»Beruhig dich, Brüderchen. Beruhig dich« Adamo hob beschwichtigend die Hände. »Und setz dich wieder. Kein Grund, sich aufzuregen. Wir sind nicht verzweifelt und auch sicher nicht lebensmüde, falls du dir da Sorgen machst. Ich arbeite seit seiner Verhaftung daran, einen Weg zu finden, ihn aus dem Knast zu bekommen. Wir können dir einiges an Material geben, für das Feintuning  und die Umsetzung bist du zuständig.«
Skinny kratzte sich nachdenklich am Kinn.
»Dein Grinsen sagt mir, dass du irgendein Ass im Ärmel hast, Adamo. Was macht dich so sicher, dass es machbar ist, Peter rauszuholen?«
»Wir haben letzte Woche einen AS1 aufgetrieben, dessen Rückenpanzerung offen war. Ansonsten ist er soweit wir erkennen konnten voll funktionsfähig. Wir haben es geschafft, seine Steuerung zu überbrücken und haben jetzt unseren privaten Polizeiroboter, der wenn alles glatt geht freien Zugang zu Peters Zelle haben müsste. Komm mit, ich zeig ihn dir.«
Adamos Handy klingelte. Wortlos reichte er es nach einem kurzen Blick darauf an seinen Bruder weiter, dann bedeutete er Skinny mitzukommen. Als sie durch die Gänge liefen, konnte Adamo die Zweifel auf Skinnys Gesicht ablesen. Gefängnisausbrüche waren ein schwieriges Thema, es gab kaum noch Menschen die sie überhaupt für möglich hielten. Noch vor einem Jahr hätte er selbst den Gedanken daran für lächerlich erachtet, aber jetzt hatten sie keine Wahl. Jeder andere Verlust wäre kein Problem gewesen, aber ohne Peters Fähigkeit die unmöglichsten Raubzüge bis ins kleinste Detail exakt zu planen und durchzuführen, war richtig große Beute ein Ding der Unmöglichkeit. Die Roboter der Polizei waren schlicht zu gut. Sie schliefen nicht, waren nie unaufmerksam und die Sicherheitsvorkehrungen der Universitäten, Labors und öffentlichen Einrichtungen waren zu perfekt.
Der Raum, in dem der AS1 verwahrt wurde, war ein Lagerraum für Technik, so lang wie eine Turnhalle, aber nur mit einer niedrigen Decke ausgestattet. In langgezogenen Regalen lagen Artefakte, die bei allen möglichen Unternehmungen in der Vergangenheit Verwendung gefunden hatten. Als sein Blick auf eine große, leicht verrostete Kettensäge fiel, schlich sich ein Lächeln auf Adamos Gesicht. Die Sache mit dem Bauunternehmen. Das waren noch Zeiten gewesen.
»Wie habt ihr das geschafft?« Skinny stand vor dem AS1 und betastete die Schweißnaht an der Rückseite. Ich dachte, es wäre unmöglich die Dinger irgendwo zu öffnen, ohne dass sie vollkommen unbrauchbar werden. Habt ihr ihn schon getestet?«
»Klar. Er funktioniert tadellos. Und glaub mir, wenn ich auch nur die geringste Ahnung hätte, wie man es schafft, sie vom Netz zu nehmen  und zu öffnen, würden hier hunderte dieser Dinger rumstehen, aber fürs Erste haben wir nur den einen zur Verfügung. Ich versuche Informationen zu beschaffen, wie wir mehr bekommen können. Das würde vieles erleichtern.«
Skinny schien durch die Gegenwart des AS1 an Zuversicht gewonnen zu haben.
»Ok, nehmen wir mal an, ich bekomme das hin«, sagte er nun mit einem Blick, wie ihn Alessio schon seit Monaten nicht mehr an ihm gesehen hatte. Die Vorstellung, den ersten Gefängnisausbruch seit Jahrzehnten zu verwirklichen, schien langsam ihren Reiz zu entfalten. »Angenommen, ich bekomme Peter aus dem Knast heraus. Wie geht es dann weiter? Wir müssen schnell von der Bildfläche verschwinden können.«
»Kein Problem. Wir haben ein Haus nicht weit entfernt gefunden, das seit ein paar Wochen leer steht. Dort kann er sich fürs Erste verstecken. Wenn die Aktion in der Uni gelaufen ist, überlegen wir uns was Längerfristiges. Aber denk daran: Auch wenn du ihn befreist – Er wird nicht begeistert sein, dass wir ihn so lange haben schmoren lassen, aber ich rede mit ihm wenn er hier ist.«
»Okay, schreib mir die Adresse auf und gib mir alles, was du über Peters Trakt und Zellennummer weißt. Ich werde schauen was ich tun kann. Wie viele Tage hab ich?«
»Höchstens drei, besser weniger. Du kannst…«
Hinter ihnen ging die Tür auf und Adamo trat ein. Sein Blick war ernst und er wirkte außer Atem.
»Lewandowski hat angerufen. Wir haben ein Problem.«

Hinter verschlossenen Türen (1)

Einen wunderschönen guten Abend,

ich habe mit einer neuen Erzählung angefangen, die die Fortsetzung von „Dem Ende entgegen“ bildet. Die Kapitel sollen in Abständen von ungefähr zwei Wochen erscheinen. Ich hoffe sie wird euch gefallen, über Resonanz jedweder Art freue ich mich wie immer sehr!

Fühlt euch herzlich gegrüßt,

Arno / Larry

Hinter verschlossenen Türen – PDF

1.  Kapitel

Ist es nicht seltsam, wenn eine Geschichte ihren Anfang an einer Tür nimmt? Auf den Stufen davor, ja, oder im Haus, das kann man erwarten. Gerade Häuser können so viele Geschichten erzählen. Davon, wer sie einst bewohnt hat und welche Narben sie davon getragen haben. Wie die Zeit sie verändert hat. Aber was gibt es schon groß über eine Tür zu sagen? Die, um die es hier geht, war eine sehr schlichte, nicht allzu auffällige Tür. Braunes Fichtenholz, das vor Jahrzehnten, als es noch neu und gepflegt gewesen war, bestimmt einen guten Eindruck auf den Beobachter hinterlassen hatte. Dazu ein kleiner, schnörkelloser Griff, dessen einstiges Strahlen mit den Jahren zu einem matten, abgegriffenen, silbernen Schimmer verkommenen war. Alles in allem wirkte die Tür wie viele andere in der Stadt. Alt und nicht gut geschützt. Doch bei genauerer Betrachtung konnte man erkennen, dass dieser Schein trog. Die Tür, an der unsere Geschichte beginnt, barg ein paar Besonderheiten. Nicht in ihrer Form oder dem Material. Nicht in dem elektrischen Schutzschild, der Unbefugten den Durchgang verweigerte. Auch nicht in ihrem Schloss – all das war im weitesten Sinne gewöhnlich. Besonders war das Haus, zu dem sie den Zugang regelte und die Menschen, die sie passierten. Ungewöhnlich ist ein gutes Wort um die meisten der Menschen zu klassifizieren, die durch sie hindurchgingen. Diese Menschen mochten Namen wie Lisa-Marie Wagner, Max Schneider oder Peter Neuer tragen, ganz normale Namen also. Aber ganz egal was man ihnen bei ihrer Geburt in die Geburtsurkunde geschrieben hatte und wie sie sich heute nannten, sie waren alles andere als normal. Sie waren Abschaum. Der Bodensatz der Gesellschaft. Viele von ihnen waren reich, manche durchaus angesehen, doch wenn sie durch diese Tür gingen, wurden sie unabhängig von ihrem Stand und ihrem Konto unweigerlich dem Bodensatz zugeordnet.
Man behauptet hin und wieder, Menschen würden ein Buch nach seinem Umschlag beurteilen. Das ist nicht mehr als ein Bruchteil der Wahrheit. Von entscheidender Bedeutung ist der Standort des Buches. Liegt es in einer großen, gut beleuchteten Buchhandlung für jeden gut sichtbar auf dem Bestsellertisch aus oder in der hintersten Ecke eines kleinen, verstaubten Antiquariats? In einer Kiste auf dem Flohmarkt oder durchnässt und achtlos weggeworfen am Straßenrand? So ähnlich verhielt es sich auch mit den Menschen, deren Schicksal sich hier im Haus abspielte.
Begegnete man einem von ihnen auf der Straße, ging man in den meisten Fällen weiter, ohne sich umzusehen. Wer erkennt schon einen Wahnsinnigen, der einen Anzug trägt, frisch rasiert ist und besonnen lächelt? Wer würde schon einen gesunden Geist erkennen, wenn der Mensch dazu sich die Haare rauft und schreiend und mit irrem Blick, nur mit einer Unterhose bekleidet, durch die Stadt rennt? Egal wie gut seine Gründe dafür sein mögen.
Doch wenn Menschen durch diese Tür in das Haus dahinter gingen, die Arme im unnachgiebigen Griff eines humanoiden Roboters in Uniform, manche sogar extra auf eine Bahre geschnallt, dann gab es keine Fragen mehr. Kein Interesse an ihrer Persönlichkeit und ihren inneren Werten. Sie wurden Ausgestoßene, über die man möglichst nicht sprach und für deren Befinden sich niemand interessierte. Wenige Verbrechen waren schlimm genug, um einen Menschen direkt hier landen zu lassen. Die meisten Delikte, bei denen man ertappt wurde, brachten nur eine Kürzung der allmonatlichen Rente, die heutzutage jedermann ein Leben lang erhielt. Erst, wenn man dreimal mit einem kleineren Verbrechen in Verbindung gebracht werden konnte, musste man durch die Tür treten und kam hoffentlich geläutert und gesetzestreu wieder heraus. Jede weitere Gesetzesübertretung brachte einem einen lebenslangen Aufenthalt. Gehen sie nicht über Los. Ziehen sie nie wieder auch nur einen einzigen Euro ein.
Für Mord, Vergewaltigung und andere Verbrechen solchen Ausmaßes konnte man sich auch beim ersten Versuch schon auf einen langen Urlaub ohne Wiederkehr hinter dieser Tür einrichten.
Jeder Insasse hatte einen zuständigen Roboter, denjenigen, der ihn verhaftet hatte. Dieser führte ihn in das Haus und in die Zelle, deren transparente, aus einem elektrischen Feld bestehende Wand sich hinter dem Gefangenen materialisierte. Transparent, so dass der Gefangene von nun an all diejenigen sehen konnte, die nach ihm in den Zellenblock gebracht wurden. Der Roboter kümmerte sich darum, dass die Zelle sauber war, er brachte dem Gefangenen das Essen und beantwortete einfache Fragen. Wieviel Uhr ist es? Welcher Tag ist heute? Nichts, was den Gefangenen oder das Gefängnis betraf. Der Roboter fuhr munter durch die durchsichtige Zellentür und jeder Neuankömmling probierte mindestens einmal, ihm zu folgen. Jüngere Männer verspürten nur einen starken Stromschlag, wohingegen es bei älteren Männern und Frauen oft bis zur Bewusstlosigkeit reichte. Man lernte schnell, dass man dieses Gebäude nicht verlassen konnte.
Durch die Tür war damals auch Peter Neuer gekommen. Wie von selbst hatte sie sich für ihn und seinen metallenen Wärter geöffnet und ihn hinein gebeten. Vorbei an zahlreichen Zellen bis hoch in den dritten Stock, den er seitdem nicht mehr verlassen hatte. Für ihn war es nicht der erste Gesetzesverstoß gewesen, der ihn in die ‚Haftanstalt I – Berlin & Brandenburg‘ gebracht hatte, auch nicht der dritte oder vierte. Allerdings der erste, der schiefgegangen war. Er war ein Mann der Tat, der genau planen und sich auch an Pläne halten konnte. Wenn man das von all seinen Kollegen hätte behaupten können, würde er sein Dasein heute noch auf freiem Fuß verbringen. Er hatte im Laufe der Wochen und Monate hier einige seiner alten Mitstreiter an seiner Zelle vorbeigehen sehen. Manche offensichtlich protestierend, andere mit ernster Miene und in Gedanken versunken. Keiner von ihnen hatte nach links oder rechts gesehen und ihn bemerkt – hören konnten sie ihn nicht. Der Durchgang mochte durchsichtig sein, doch er schottete die Zelle gegen Geräusche von draußen ab. 15 Jahre hatte er für die Sache bei Sony bekommen, von denen er noch mehr als 13 hier abzusitzen hatte.
Er war erfüllt von Wut. Wut auf Lisa-Marie, die alles versaut hatte, Wut auf seinen Bruder, der ihn im Stich gelassen hatte und vor allem Wut auf seine Auftraggeber, die ihn einfach hier sitzen ließen. Als er gesehen hatte, wie Lisa-Marie an seiner Zelle vorbeigeführt wurde, wäre er ihr für einen Augenblick am liebsten an die Gurgel gesprungen. Der Stromschlag war noch stärker gewesen als beim ersten Mal und hatte ihm für eine knappe Stunde das Bewusstsein geraubt. Seitdem war er nach außen hin ganz ruhig. Der Feuerball aus Wut in seinen Eingeweiden durfte nicht zu sehr sein Handeln bestimmen. Nachdenklich spielte er mit dem kleinen Silberkreuz um seinen Hals. Seine Zeit würde kommen wenn er hier wieder raus war. Bis dahin hatte er jede Menge Zeit, Pläne zu schmieden und die nächsten Coups zu planen. Er musste seine Reputation wiederherstellen. Ohne Crew ging es nicht, doch er würde neue Leute brauchen, auf die Alten konnte er sich jetzt nicht mehr verlassen.
Die ersten Wochen hatte er noch Hoffnung gehabt, allein hier raus zu kommen. Doch die Zelle gab nichts her, was ihm einen Ausbruch ermöglicht hätte. Er hatte versucht, den Wärter auseinanderzunehmen, um über dessen Elektronik und Platinen einen Weg zu finden, durch seine Zellentür zu kommen. Doch egal wie oft er ihn gegen die Wand geschlagen hatte, oder wie stark er auf ihn gesprungen war, die silberne Außenhülle mit den zwei dunkelblauen Streifen vom Kopf hinunter bis zu den Füßen hatte sich nicht merklich verändert. Ebenso wenig wie der Wärter auf diese Ausbrüche reagiert hatte. Die Streifen an der Seite waren ein wenig verkratzt und offensichtlich hatte er eins der Armgelenke des Wärters ein wenig lädiert. Seitdem sahen die Bewegungen des linken Arms nicht mehr ganz so flüssig aus, doch geholfen hatte das Peter nicht im geringsten. Es gab hier nichts, wo er ansetzen konnte, so hatte er sich darauf beschränkt, seinem Geist freien Lauf zu lassen.
Er hatte irgendwann aus einer Laune heraus angefangen, den Wärter ‚Fluffy‘ zu nennen, wie den Hund, den er als Junge gehabt hatte. Statt Stöckchen holte der Roboter eben Essen und er befolgte ebenso artig seine Kommandos, wie es Fluffy früher getan hatte. Auch wenn er nicht ‚Sitz‘ und ‚Platz‘ machen konnte, sondern nur sagen, wie viel Uhr es war und welchen Wochentag sie gerade hatten.
Peter saß da, starrte von seiner Pritsche aus die Wand an und dachte an Lisa-Marie. Ihre wunderschönen, fein geschwungenen Lippen, die mandelbraunen Augen. Er hatte sich von ihrem Aussehen und seinen Gefühlen zu ihr schwächen lassen und sich Fehler erlaubt. Er durfte keine Fehler machen. Letzten Endes trug auch er Schuld daran, dass er jetzt hier saß.
Fluffy betrat die Zelle. In seinen Händen hielt er eine Schüssel mit Tomatensuppe, die er neben Peters Pritsche abstellte. Ihm fielen die Veränderungen nicht gleich auf. Die Bewegung des Abstellens war flüssiger als sonst, als wäre der Arm nach so vielen Monaten heute in Fluffys kurzer Abwesenheit doch noch repariert worden. Auch die Streifen waren wieder vollkommen intakt. Hätte er Fluffys Rücken unter der Uniform betrachtet, hätte er eine ungewöhnliche Schweißnaht sehen können. Statt sich wie sonst während der Essenszeit in eine Ecke der Zelle zu stellen, blieb der Roboter diesmal vor Peters Pritsche stehen. Es dauerte einige Sekunden, bis ihm dieser Umstand bewusst wurde. Dann fiel sein Blick auf den kleinen weißen Zettel, den der Roboter in der ausgestreckten Hand hielt.